E-Bikes, E-Trottis und der Untergang des Velolandes

Rasant erobern elektronische Miet-Fahrräder und -Tretroller die Schweizer Städte. Es ist eine Eroberung, die das Leben schlechter, nicht besser macht.

Miet-E-Bikes und -Trottis in Basel: Das hat uns gerade noch gefehlt.

Vor nicht allzu langer Zeit konnte man sich als Velofahrer in Basel seines Lebens noch einigermassen sicher sein. Wenn man anständig in die Pedale trat, wurde man vielleicht mal von einem Velokurier überholt. Man ärgerte sich höchstens ab und zu über langsame Nebeneinanderfahrer vornedran, zum Beispiel auf der Wettsteinbrücke.

Heute muss man froh sein, wenn man als Velofahrer heil am Ziel ankommt. Nicht nur wegen der Autos, diese Gefahr ist längst bekannt. Nein, ausgerechnet zweirädrige Fahrzeuge machen das Velofahren ungemütlicher, sind eine Gefahr für die Nerven, ja womöglich für Leib und Leben. Auch auf dem Velostreifen, zum Beispiel auf der Wettsteinbrücke. Die Rede ist vom E-Bike-Boom mit all seinen modernen Auswüchsen.

Elektrisierende Begegnungen

Unlängst fuhr ich mit dem Velo durch die Augustinergasse, eine der insgesamt mehr als fünf Kilometer umfassenden «Begegnungszonen» in Basel-Stadt. Erlaubte Höchstgeschwindigkeit: 20 km/h. Fussgänger haben grundsätzlich Vortritt. Auch auf dem Münsterplatz. Dort machte ich beinahe eine unsanfte Begegnung mit dem Strassenbelag, als ich von einem E-Biker sanft summend überholt wurde.

Unsere Ellbogen berührten sich kurz, als der Mann – rechts, und mit geschätzten 40 km/h – an mir vorbeiraste, nur um 100 Meter weiter vorne fast eine Gruppe Touristen zu touchieren.

Am Kleinbasler Rheinufer gibt es zwischen Wettsteinbrücke und Klingentalgraben ebenfalls eine Begegnungszone. Wer zwischen Wasser und Beizen und Buvetten hin- und herspaziert, der muss gut aufpassen, um Körperkontakt mit elektrisierten Zweiradfahrern zu vermeiden.

Der Bund hat es sich etwas zu leicht gemacht mit der Erleichterung der Gesetzgebung für Eletrovelos im Jahr 2012 und der 2015  folgenden Erleichterung für weitere Elektrofahrzeuge wie etwa Stehroller. So leicht, dass die Autolobby sich leise ins Fäustchen lachte.

E-Bikes sind Töffs, aber dann doch nicht

Zwei Klassen von Elektrovelos werden seither unterschieden: Die «langsamen» E-Bikes (maximal 20 km/h ohne Muskelkraft / maximal 25 km/h mit Tretunterstützung) und die schnellen E-Bikes (30 km/h bzw. 45 km/h). Absurderweise gelten für die «langsamen» E-Bikes offiziell und ausdrücklich die gesetzlichen Bestimmungen für «Leicht-Motorfahrräder» (Art. 18 Bst. b VTS), und die schnellen E-Bikes gelten explizit als «Motorfahrräder» (Art. 18 Bst. a VTS).

Sprich: Schnelle E-Bikes sind Töffs. Aber dann doch nicht: Sie haben nämlich Velowegzwang. Da dürfen wir mit reiner Muskelkraft tretenden Zweiradfahrer uns mit ihnen herumschlagen. Und Fussgänger begegnen ihnen täglich in Begegnungszonen. Obwohl man doch meinen könnte, dass schnelle E-Bikes als Töffs auf die Strasse zu den Autos gehörten.

Basler Miet-E-Velos fördern Raserei

Zur ungebrochenen Zunahme der privaten E-Bikes gesellen sich seit neustem Miet-E-Bikes. In Basel-Stadt haben sich in kürzester Zeit die «Pick-e-Bikes» der BLT, EBM und der Basler Kantonalbank etabliert. Die Expansion der Flotte schreitet flott voran.

Nur: Erstens hat Pick-e-Bike nur die schnellen Velos, also die E-Bike-Töffs, im Angebot (Geschwindigkeit 35 km/h).

Und falls Sie sich fragen, warum gefühlt alle Pick-E-Bike-Fahrer sich auf der Strasse oder auf dem Veloweg so verhalten, als besässen sie weder Anstand noch Führerschein (Letzterer wäre eigentlich Pflicht für die schnellen E-Velos): Der Service verleitet potenziell zum Rasen – denn die Miete kostet 25 Rappen pro Minute. Sprich: Zeit ist Geld. Die Länge der zurückgelegten Strecke spielt keine Rolle.

Um es mit Karl Lagerfeld zu sagen: Wer als Erwachsener Trottinett fährt, hat womöglich die Kontrolle über sein Leben verloren. Nicht zufällig hat der Helvetismus für Tretroller dieselbe Wortherkunft wie Trottel (frz: trottiner/trotter). Und womöglich ebenso unzufällig haben E-Trottinette diverser hipper Firmen seit gut einem Jahr praktisch alle Städte der USA mit Miet-Trottinetten überschwemmt.

Nicht überall sind die Firmen gleich beliebt. In den USA wird der Trottinett-Boom kontrovers diskutiert. Nun, da die Firma Lime als erste den Sprung über den Teich nach Europa wagt, regt sich hier und da Widerstand. Die Regierung von Stockholm etwa versucht derzeit, Lime vor der Einführung der Trotti-Flotte zu verbieten.

In der Schweiz ist Lime schon da. Zuerst in Zürich, nun auch in Basel. Fein säuberlich stehen die 200 E-Trottis am frühen Morgen an verschiedenen Standorten – auch in Begegnungszonen der Stadt. Auf den Trottoirs, ausserhalb von markierten Feldern, wo sie eigentlich nicht parkiert sein dürften. Fast 25 km/h schnell sollen sie sein. Eigentlich zu schnell, um laut Schweizer Gesetz als «langsame» E-Bikes durchzugehen, für die keine Helmpflicht und keine Führerscheinpflicht besteht.

Drei Lime Scooter, parkiert auf dem Münsterplatz: Dienstag, 16. Oktober 2018, 08.30 Uhr.

Bisher scheint das niemanden zu kümmern. Darauf zählen die Firmen: Die Strategie ist in den USA bekannt als «Ask for forgiveness, not permission» (sinngemäss: Bitte im Nachhinein um Vergebung, nicht zuerst um Erlaubnis). Auch wenn ein wachsendes Heer von Basler Billiglohnempfängern die über die gesamte Region verteilten E-Bikes und Velos wieder einsammelt, schaut niemand hin.

Es wacht höchstens der eine oder andere Stadtbewohner kurz mitten in der Nacht auf. Denn die elektronische Zweirad-Zukunft wird mit dem benzinbetriebenen Lieferwagen eingesammelt und neu verteilt. Jede Nacht von Neuem.

Nächster Artikel