Gesellschaftswissenschaftlerin Jovita Pinto erhielt Szenenapplaus. Sie hatte ein emotionales Votum mit dem Satz geschlossen: «Die rassistischen Bilder, die wir kennen, sind nicht vom Himmel gefallen. Wir finden sie in unseren Geschichtsbeständen, in unseren Erzählungen, in unseren Lehrbüchern. Unser Alltag ist geprägt davon.»
Pinto sprach damit aus, was für sie eine Selbstverständlichkeit ist: Rassismus ist ganz und gar keine Seltenheit, sondern Teil ihres Alltags.
«Stellvertreterkrieg» für ein hartnäckiges Problem
«Wir wollen konstruktiv diskutieren», war die Forderung von Moderatorin Andrea Fopp zum Auftakt der Podiumsdiskussion am Donnerstagabend im «Sud» unter dem Titel: «Warum kennt unsere Streitkultur nur noch schwarz und weiss?»
Anlass zum Gespräch gaben die hohen Wellen, welche die Debatte um die «Negro-Rhygass»-Gugge und den Hashtag #MenAreTrash in den vergangenen Tagen geschlagen hatte. Hunderte Guggen-Sympathisanten waren deswegen auf die Strasse gegangen, die Kommentare in den Sozialen Netzwerken verloren jeglichen Anstand.
Und jetzt also eine Diskussion «ohne Schimpfis oder Drohungen»? Gar nicht so einfach.
Es fing schon bei den Begrifflichkeiten an: Wie soll man die Süssigkeit mit gezuckertem Eiweissschaum und Schokoladenguss bezeichnen? «Jedes Mal, wenn einer das ‹M-Wort› sagte, zuckte ich innerlich zusammen», sagte eine junge schwarze Frau aus dem Publikum gegen Ende der Veranstaltung. Für sie sei es ein Wort voller Gewalt. Ein Wort, das man bei einer versöhnlichen Diskussion nicht aussprechen sollte.
Und genau darauf lief die Veranstaltung hinaus: Dass es nicht darum geht, irgendwelche «Denkverbote» zu fordern. Dass mit «political correctness» nicht mehr und nicht weniger als Respekt und Anstand gemeint sind im Umgang mit seinen Mitmenschen. Dass Sprechen auch Zuhören bedeutet. Dass man akzeptieren muss, dass es Menschen gibt, die Mühe haben mit Bezeichnungen und Symbolen, die während der Kolonialzeit entstanden sind, Embleme, deren Ziel es ist, die schwarze Bevölkerung ins Lächerliche zu ziehen.
«Disney produzierte in den 1920er-Jahren äusserst rassistische Filme», sagte Zeal&Ardor-Sänger Manuel Gagneux. «Die Filme kann man sich noch immer ansehen, und das ist gut so. Weil sie von Disney heute in einen Kontext gebettet sind, der erklärt, weshalb der Inhalt rassistisch ist.» Das sei ein gangbarer Weg im Umgang mit einer problematischen Vergangenheit.
Nicht selten war es eine Stimme aus dem Publikum, die über eine alltägliche Problematik aufklärte: «Wisst ihr eigentlich, weshalb uns das Logo so stört? Wir wollen einfach nicht, dass das Logo ein ‹Niggerclown› ist.» Ein Raunen ging durch den Saal im «Sud», der bis auf den letzten Platz besetzt war. Es war ein Gemisch aus Belustigung und Beschämung.
Die Diskussion bewegte sich zwischen akademischen Ansätzen und Anekdoten, mit denen allen voran die beiden Podiumsteilnehmerinnen Serena Dankwa und Jovita Pinto zeigen wollten, wie alltäglich Rassismus tatsächlich ist. «Ich fand die Fasnacht immer toll, aber als ich als Kind erstmals diese rassistischen Zeichnungen sah, passierte etwas mit mir. Es hat sich für mich eingereiht in die abwertenden Bezeichnungen, die ich von klein auf kenne. Und von denen ich noch heute von meiner Tochter höre», erklärte Dankwa.
Das brachte die Gegenseite des Podiums in Erklärungsnot: «Ich habe die Fasnacht immer erlebt als einen Ort, der offen ist für alle – unabhängig von ihrer politischen Gesinnung, ihrer Hautfarbe oder ihrem Geschlecht», sagte Telebasel-Redaktionsleiter Adrian Plachesi.
«An diesem Logo wird ein Stellvertreterkrieg ausgetragen», fand der emeritierte Geschichtsprofessor Georg Kreis. «Wir hoffen, dass mit dem Verschwinden des Logos auch der Rassismus verschwinden würde.» So banal sei es nicht. Im Gegenteil: «Es ist beinahe ein Volkssport, rassistische Dinge zu sagen, ohne dafür angeklagt zu werden.»
Es brauchte nicht viel, um aufzuzeigen, wie weit entfernt wir noch immer von einer Gesellschaft sind, in der Rassismus keine Rolle spielt. Privilegien seien für viele unsichtbar. Sie habe längst gelernt, dass für sie vieles anders sei, erzählte Serena Dankwa. An einem Vorstellungsgespräch müsse sie sich überlegen, ob sie ihre natürlichen Haare offen tragen kann, oder ob sie dann sofort als unseriös gelte.
Auch Pinto berichtete von ähnlichen Erfahrungen: «Die Leute sprechen zum Teil Englisch oder Hochdeutsch mit mir, weil es offenbar unvorstellbar für sie ist, dass ich Schweizerdeutsch spreche. Ich spreche Dialekt, aber sie reden weiter Hochdeutsch.»
Richtig schlecht gefühlt hat sich eine Mutter aus dem Publikum am vergangenen Freitag, als sie feststellen musste, dass sich so viele Menschen für den «Solidaritätsmarsch» angemeldet haben, bei dem es darum ging, für ein aus Rassismus entstandenes Emblem einzustehen. «Ich ging an diesem Tag mit meinen dunkelhäutigen Kindern nicht in die Stadt – das wollte ich ihnen schlichtweg ersparen», sagte die Frau. Der Vorfall beschäftige sie sehr.
Rassismus ist nicht nur schwer auszuhalten. Es ist auch enorm schwer, über ihn zu sprechen. «Es ist ein so schwerwiegender Vorwurf, dass jeder, der damit konfrontiert wird, in eine Verteidigungshaltung fällt», sagte Plachesi. Diskussionen seien dann nicht mehr möglich.
Pinto pflichtete ihm bei. Das Problem werde höchstens oberflächlich diskutiert. Die Wurzeln, die Strukturen – die seien tabu. Pinto: «Wir suchen einen Täter, bestrafen ihn und bringen ihn zum Verschwinden. Über das strukturelle Problem sprechen wir gar nicht erst.»
Plachesi sprach in diesem Zusammenhang von einer Empörungsspirale, die sich hochdrehe, «bis sich alle nur noch wüst sagen». Am Ende der Spirale bleibe aber nie etwas hängen, es ändere sich nichts. Obwohl es doch um wichtige Inhalte gehe. Darum habe er auch die «Negro-Rhygass»-Debatte spontan «blöd» gefunden, weil er vorausahnte, dass sie entsprechend verlaufen werde.
Müssten demnach Betroffene von Rassismus oder auch Sexismus sich mit gepflegteren, überlegteren Worten wehren? Konstruktiver eben, damit nicht gleich wieder die «Spirale» zu drehen beginnt?
Dieser Wunsch kam in der Diskussionsrunde mit dem Publikum auf. Doch es erwies sich rasch als ein Wunsch, wie ihn nur Nicht-Betroffene hegen können. Wie soll zum Beispiel eine Frau, die sexuelle Gewalt erlebt hat, in überlegten Worten ihre Peiniger beschuldigen? Es geht um Verletzungen, es geht um Emotionen. Die Forderung an Betroffene, sie mögen ihre Anliegen bitte ruhig und sachlich vortragen, kommt von privilegierter Warte. Einmal mehr kann man sich mit Oberflächlichkeiten beschäftigen, ohne über das Problem zu reden.
Dass die Gesellschaft Mühe hat, damit umzugehen, zeigte sich in den Sozialen Medien, als eine derartige Emotion in den Hashtag #MenAreTrash gegossen wurde. Die Gegenwehr im Netz fiel ebenfalls heftig aus, von einer gesitteten Streitkultur oft keine Spur. Mittendrin der Vorwurf: Frauen würden immer gleich emotional, und das ende dann eben in Hasskommentaren und Gewaltandrohungen vonseiten der kritisierten Männer.
«Diese Reaktionen haben ganz klar gezeigt: Wir wollen einfach keine Diskussion», musste Pinto konsterniert feststellen. Stattdessen würden die bestehenden Missstände verteidigt und die Kritikerinnen bedroht.
Es bleibt also schwierig. Am Ende waren sich die Podiumsgäste einig, dass man trotz allem nicht müde werden dürfe, es mit Diskussionen zu versuchen. Und dabei im Umgang mit dem Gegenüber vor allem mit Empathie zu punkten. Einfach wird das nicht, auch Manuel Gagneux stellte in seinem Schlussvotum fest: «Wir müssen aufeinander zugehen. Es gibt noch viel Erziehungs- und Lernbedarf.»
Jovita Pinto ist wissenschaftliche Assistentin in Gender Studies an der Universität Bern mit Schwerpunkt Postkolonialismus und rassismuskritische Forschung in der Schweiz. Sie ist Mitglied des Netzwerkes «Black She».
Serena Dankwa ist Sozialanthropologin mit Schwerpunkt auf afrikanischen Studien. Sie war Musikjournalistin beim SRF und arbeitet heute in der FIZ Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration. Auch sie setzt sich für «Black She» ein.
Manuel Gagneux von der Band Zeal&Ardor mischt afroamerikanische Feldgesänge mit Black Metal. Der Basler Musiker findet: «Nicht über die Rassen-Thematik zu sprechen, wäre mit der Musik, die ich mache, schlicht feige.»
Georg Kreis, ist emeritierter Professor für Neuere Allgemeine Geschichte und Geschichte der Schweiz an der Universität Basel, war bis 2011 Leiter des Europainstituts Basel und Präsident der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR). Er schreibt regelmässig für die TagesWoche.
Adrian Plachesi ist Redaktionsleiter News bei «Telebasel» und Fasnächtler.