«Besen, Ronja, Besen!» – Auf eine Partie Quidditch im Margarethenpark

Wenn Sie Harry Potter kennen, kennen Sie wahrscheinlich auch Quidditch. Das Spiel wird in Buch und Film auf fliegenden Besen bestritten. Ein Basler Verein spielt es ganz ohne Magie. Leider, wie der Selbstversuch unserer Volontärin zeigt.

Die Sonne küsst schon bald den Horizont. Mütter und Väter fischen ihre Kinder vom Rasen im Margarethenpark. Sie schieben die Kleinen durch den Ausgang, der beissende Wind lässt sie schneller gehen. Kein sehr gutes Flug-Wetter.

Ausgerechnet, denn heute Abend will ich Quidditch spielen.

Vielleicht fragen Sie sich, was das sein soll. Quidditch stammt aus der Feder von Joanne K. Rowling. Genau, aus dem Harry-Potter-Universum. Quidditch ist ein Ballspiel, ausgeführt auf fliegenden Besen. Ziel ist es, den Ball – genannt Quaffle – durch einen von drei Ringen der gegnerischen Mannschaft zu werfen. Und das mehrere Dutzend Meter über dem Boden. Eine Partie ist beendet, sobald der Schnatz, ein gewitztes goldenes Bällchen mit Flügeln, geschnappt ist.

Nichts für Humorlose

Das klingt jetzt alles etwas komisch. Das weiss auch Samson Rentsch. Der 24-jährige Student steht im schwarzen Sportdress und in Noppenschuhen fest im Rasen. Rentsch spielt bei den Basel Basilisks, dem Basler Quidditch-Verein. Seit über einem Jahr bringen die gut 20 Mitglieder die Magie auf den Boden der Realität – oder versuchen es zumindest: Statt einem fliegenden Besen klemmen sie sich einen Stock zwischen die Beine. Der Schnatz ist ein in eine Socke gestopfter Tennisball, mit Klettverschluss an einer Spieler-Hose befestigt. «Beim Quidditch-Spielen musst du irgendwie über dich selber lachen können», sagt Rentsch grinsend.

Sowas muss man ausprobieren, fand ich. Die Redaktion pflichtete mir freudig bei. Sowieso tut etwas Auslauf auch meiner Trainerhose gut, nach zwei intensiven Jahren auf dem Sofa. «Als ich im Januar hier angefangen hab, hatte ich davor vier Jahre keinen Sport gemacht», ermutigt mich Rentsch.

Oh Samson, wie konntest du mich nur so täuschen?

Vier Jahre kein Sport, und jetzt schiesst er Tor um Tor: Samson Rentsch beim Quidditch.

Es ist kurz vor halb sieben, das Training geht gleich los. Patricia Schwan ruft die zehn Spieler, die erschienen sind, zusammen. Gemeinsam wird das ovale Spielfeld abgestochen, die Ringe, selbst gebastelt aus Abflussrohren, auf den Rasen getragen. Während eines Austausch-Semesters an der Uni von Sydney trat Schwan dem dortigen Quidditch-Team bei. Wieder zuhause, gibt sie ihre Expertise dreimal pro Woche an die Basilisks weiter. Quidditch ist, im Unterschied zu den meisten kompetitiven Sportarten, geschlechtlich gemischt.

Wir stellen uns in zwei gegenüberliegenden Reihen auf, Schwan in der Mitte. Erste Aufgabe dieses Abends: Pass an Schwan, losrennen, Rückpass entgegennehmen und den Ball dem nächsten Spieler zuwerfen. Easy.

Ich bin dran. Ball fangen: schwierig. Nur eine Hand ist frei, die andere umklammert den Stock. Ich darf ihn zu keinem Zeitpunkt verlieren. «Versuche, mit beiden Händen zu fangen und den Besen mit den Beinen einzuklemmen», rät die Trainerin. Stock einklemmen: Auch nicht ohne. Zumal Baumwolle nur geringe Haftkraft zeigt, wie Schwan nickend und in Kunststoff-Leggins bestätigt.

Wie sich unsere Volontärin in der Aufwärmphase geschlagen hat, sehen Sie im Video. Lachen verboten.

Meine Würfe enden im Rasen oder in Gesichtern, selten in Händen. Und der Stock will irgendwie auch nicht dort bleiben, wo er sein sollte. Ich kämpfe mich durch die Übungen. Und durch mein schlechtes Gewissen. Denn die Basilisks sind gerade in einer harten Trainingsphase: In zwei Wochen ist Schweizer Quidditch-Meisterschaft. Die Basler sind dabei, fünf weitere Schweizer Mannschaften auch. Also alle, die es in der Schweiz zurzeit gibt.

Fusion aus Rugby, Handball, Völkerball

Quidditch ist ein weltweit praktizierter Sport. Vor dreizehn Jahren, als zwei amerikanische College-Studenten den Sport umgesetzt haben, wars vielleicht schon ein Gag, sagt Rentsch. Wenige Jahre später wurde die International Quidditch Association (IQA) gegründet. Mittlerweile gibt es Teams auf allen Kontinenten. «Es ist etwas ganz anderes als die Sportarten, die man kennt», so Rentsch. Der Sport mit dem Besen beinhalte den Vollkontakt vom Rugby, das Toreschiessen vom Handball und das Abschiessen vom Völkerball.

Klar gebe es Leute, die sie nicht ernst nehmen würden, über sie lachten. Pah, Potter-Freaks! Rentsch selber sei ein Fan der Bücher, andere im Team weniger. «Wir können diese Herkunft nicht verleugnen. Aber man muss einfach klarstellen: Es gibt das Buch, es kommt von dort, aber wir sind  unabhängig.»

Rentschs Lösung gegen Skeptiker: Sie aufs Feld holen. «Spätestens, wenn ihr das erste Mal von mir getackelt werdet, überlegt ihr euch vielleicht, ob es wirklich so eine Witz-Sportart ist», sagt er mit grossen Augen und lacht. Das Regelbuch der IQA habe übrigens 300 Seiten, sagt er beiläufig.

Mir ist bereits nach der Aufwärmphase klar: Das hier ist ganz sicher kein Witz. «Und jetzt zum anstrengenden Teil», ruft Schwan mit verschmitztem Lächeln in die Runde. Und ich denke mir: Gibts eigentlich irgendeinen Zauberspruch gegen Muskelkrämpfe? Es werden Mundschutze eingesetzt.

Oder einen gegen fehlende Zähne, vielleicht?

Quidditch ist nichts für Weicheier. Schauen Sie selbst:

Schwan verteilt Haarbänder. Es gibt Chaser, Beater, Keeper und Seeker. Die einen machen Tore, die anderen verteidigen, dann gibts einen Torwart und zwei, die den Schnatz fangen müssen. Mein weisses Haarband sagt: Ich bin Chaser. Mit einem weichen Volleyball muss ich in die Ringe treffen. Wir stellen uns gegenüber auf, in der Mitte liegen die Bälle. Der Schiedsrichter ruft: «Brooms up!». Das Chaos bricht über mich herein.

«Wir spielen heute eher sanft»

Ich hetze nach vorne, fange in der Menge unverhofft einen Ball. Ein Beater trifft mich mit einem Völkerball im Rücken.

«Beat, Ronja!», ruft der Schiri. Ich steige vom Stock und renne zu den eigenen Ringen und wieder zurück. So wollen es die Regeln.

«Besen, Ronja, Besen!», ruft der Schiri. Ich habe vergessen, den Stock wieder zwischen meine Beine zu klemmen. Der Schiri lacht. So wollen es die Regeln nicht.

Die Basilisks huschen übers Feld. Die Spieler rufen sich Kommandos zu. Es gibt bestimmt eine Taktik, aber diese als blutige Anfängerin erkennen? Unmöglich. Ich versuche, möglichst niemandem im Weg zu stehen. Auch, weil mein Chaser-Gefährte gerade gnadenlos zu Boden gerissen wurde. «Wir spielen heute eher sanft», sagt Schwan in einer Spielpause.

Nach 16 Minuten kommt Samson Rentsch als Snitch (zu Deutsch Schnatz) Runner ins Spiel, seine gelbe Hose leuchtet durch die einbrechende Dunkelheit. Ich habe mein Haarband getauscht, muss nun die Socke kriegen. Rentsch wehrt sich mit langgestreckten Armen, rüttelt an meinem Besen. Das darf nur der Snitch Runner. Er zwirbelt hin und her, dreht sich, hüpft auf, lacht spöttisch. Irgendwann macht es «Ritsch!», und die Socke ist ab. «Normalerweise renne ich mehr», sagt er.

Wir kommen zusammen, werfen die Stöcke in die Mitte. Atmen war auch schon einfacher. Man klopft sich auf die Schultern, lacht. «Es bringt doch nichts, sich für etwas zu schämen, wenn es dir Spass macht», hatte Rentsch in einer Trinkpause mal gesagt. Recht hat er.

Die Basel Basilisks trainieren dreimal pro Woche bei verschiedenen Standorten in Basel.  Neulinge sind bei den Trainings herzlich willkommen. Der Quidditch-Verein informiert über Zeit und Ort auf seiner Facebook-Seite.

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