Mit dem ältesten Trainer, der je ein Team an einer Europameisterschaft betreute, kommt Irland zur Euro 2012. Giovanni Trapattoni hat mit seinen 73 Jahren nichts an Charme und Schläue eingebüsst.
Brian aus Kildare sagt es so, wie es die meisten Iren empfinden: «It’s a big thing» – es ist eine grosse Sache.» Erstmals seit der WM 2002 nimmt eine irische Fussball-Nationalmannschaft wieder an einem grossen Turnier teil, und zum zweiten Mal nach 1988 erst an einer EM-Endrunde. AmSonntag starten die Iren in der Gruppe C in Posen gegen Kroatien ins Turnier, Spanien und Italien heissen die weiteren Gegner
Brian war Montagabend beim mühsamen 0:0 im letzten Test in Budapest gegen Ungarn dabei, flog Dienstagmorgen zurück nach Hause und wird am Freitag nach Polen reisen, um die «Boys in Green» zu unterstützen. Brian ist einer von rund 25‘000 Iren, die von der sogenannten grünen Insel nach Polen kommen werden, dazu tausende Exil-Iren aus allen Winkeln der Welt. Wie die meisten hat Brian keine Tickets für die Spiele. Aber was soll’s? Diese EM ist ein grosses Fest für die Iren – und das wollen sie feiern.
Zwei Jahre nach Henrys Hand
Es ist schliesslich das lange ersehnte Comeback der Iren auf der grossen Bühne. Und es ist eines für Irlands Trainer Giovanni Trapattoni. Vor zwei Jahren scheiterten sie noch gemeinsam so unglücklich nach einem ungeahndeten Handspiel von Thierry Henry an Frankreich in den Playoffs an der WM-Teilnahme in Südafrika. Nun sind die Iren nach dem Barrage-Erfolg gegen Estland bei der EM dabei – mit Trapattoni, der nach seinem Aus 2008 bei Red Bull Salzburg endgültig als ein Mann von Gestern galt.
Das skandalöse Hands, mit dem Thierry Henry 2009 den Siegtreffer der Franzosen gegen Irland einfädelte.
Doch den mittlerweile 73 Jahre alten Italiener, der älteste Trainer, der je ein Team zu einem EM-Turnier begleitete, sollte man nie unterschätzen. «Er hat uns zur EM gebracht, da ist es kein Argument mehr, dass er zu defensiv spielen lässt», findet Brian aus Kildare und spricht damit aus, was viele seiner Landsleute denken. Trapattoni und sein Team sorgen in harten Zeiten, in der die Iren an der Wirtschaftskrise leiden, für Ablenkung. Da wird dem ewigen Fussballtrainer aus Italien die notorisch auf Sicherheit bedachte Spielweise leichter verziehen.
Die Iren mögen den Maestro inzwischen irgendwie. Dass er noch immer fast nur zu den Spielen ins Land kommt und dann meist in einem Hotel in Flughafennähe wohnt, ist nach der EM-Qualifikation ebenso leicht zu verzeihen wie sein eigenwilliges Scouting. Bei Spielen in der englischen Premier-League, wo beinahe alle seiner Profis spielen, sieht man Trapattoni so gut wie nie. Er schaut die Matches lieber auf DVD an oder schickt seinen Assistenten Marco Tardelli.
In bester Trap-Folklore
Es ist zwar Zufall, dass der Mailänder wie der irische Nationalheilige St. Patrick an einem 17. März geboren wurde, aber Trapattoni wäre nicht Trapattoni, wenn er diesen Umstand nicht geschickt für sich genutzt hätte. Schon bei seiner Vorstellung in Dublin im Frühling 2008 sagte er in bester Trap-Folklore: «Ich bin kein Heiliger, ich bin Giovanni.»
Als nun die EM-Teilnahme feststand, wanderte Trapattoni zum Croagh Patrick, dem 752 Meter hohen Wallfahrtsort im County Mayo, den St. Patrick im 5. Jahrhundert erklommen haben soll. Die Presse war natürlich dabei, 1500 Schaulustige und auch der irische Premierminister Enda Kenny, der sagte: «Die EM-Qualifikation war wichtig für den Spirit der Menschen im Land.»
Trapattoni ist dann zwar nur ein kleines Stück den steilen Anstieg des heiligen Hügels zu karitativen Zwecken hochspaziert – aber egal. Und während St. Patrick durch Fasten, dem Bau einer Kapelle und dem Wurf einer Glocke ins Tal, für immer aller Schlangen von der Insel vertrieben haben soll, gelang es Trapattoni hingegen mit seinem irischen Alpinismus nicht, die babylonische Sprachverwirrung auszutreiben, die durch sein für ihn typisches Gemenge aus englischen, italienischen und deutschen Wörtern mitunter entsteht.
Die irische Systemfrage
Im toskanischen Montecatini, wo er noch jede seiner Mannschaften zum Trainingslager einquartierte und wo er nun auch die Iren auf die EM vorbereitete, lieferte er ein weiteres Bonmot: «Moment, ich muss mich umdrehen und am Sack graulen.» Man musste den Unwissenden erst Aufklärung darüber verschaffen, dass der Italiener darunter gemeinhin soviel wie «ich klopfe auf Holz» versteht, um die Entrüstung wieder herunterzuschrauben.
Auch am Montag in Budapest verzweifelten die irischen Reporter am herrlich unverständlichen Trapattonisch des Italieners. Noch am Tag zuvor hatte der Fussballlehrer erzählt, die Startelf gegen Ungarn sei auch die, mit der Irland gegen Kroatien ins EM-Turnier starten werde. Also: ein 4-4-2-System mit Kevin Doyle neben Torjäger Robbie Keane im Angriff und den zwei schnellen, offensiven Aussenspielern Damien Duff und Aiden McGeady.
Doch nachdem sich seine in die Jahre gekommene Mannschaft mal wieder gegen ein Team mit nur einer Spitze schwer getan hatte, erklärte Trapattoni: «Vielleicht we need one more player in Midfeld.» Auch nach mehreren Nachfragen konnte nicht geklärt werden, ob die angedachte Systemänderung auch personelle Konsequenzen haben werde. »Müsse talk to players», erklärte Trapattoni.
«Sie sind schwer zu schlagen»
Vielleicht gehört das alles ja nur zum verwirrenden Spiel eines Trainerfuchses vor dem Start in ein Turnier, in dem er im letzten Gruppenspiel auf sein Italien treffen wird. Die Spieler, so versichern Insider, verstehen den Maestro bestens. Und überhaupt: Die Stimmung sei noch nie so gut im Team gewesen wie derzeit, sagt Captain Robbie Keane.
Der kroatische Nationaltrainer Slaven Bilic, der den Ausfall seines Stürmers Ivica Olic ein «Desaster» nennt, wusste als Zeuge der irischen Generalprobe in Budapest hinterher zu berichten: «Die Iren sind schwer zu schlagen.» Für Giovanni Trapattoni gilt das ohnehin in jeder Beziehung. Erst jüngst hat er seinen Vertrag in Irland bis 2014 verlängert. Einer italienischen Zeitung sagte der ewig junge Fussballverrückte jüngst: «Zum Aufhören müssen sie mich prügeln.»