Thomas Minder erhält von den Aargauer SVP-Delegierten ein Zufalls-Ja für seine Abzocker-Initiative. Wahrer Gewinner des Abends war aber der andere Dinosaurier.
Leider war es dunkel in Boniswil. Soll ja schön gelegen sein, mit Seeanstoss und Schloss. Aber so blieb es beim finsteren Erahnen irgendwo zwischen dem Volg, dem in Renovation begriffenen Moto-Shop, der Pizzeria und dem «Kinderparadies». Denn – auch hier, leider – hatte die lokale Feuerwehr zwar alle Hinweistafeln aus dem Magazin geholt und sogar ein grosses «SVP»-Schild an der einzigen Kreuzung des Dorfes irgendwo zwischen Luzern, Lenzburg und Zürich aufgestellt. Aber das zeigte in die falsche Richtung.
Und so stolperten die Journalisten aus Baden und Basel im dunklen Boniswil herum, bis ein Aargauer SVP-Delegierter einem Engel gleich aus dem Nichts erschien. Leicht desorientiert war auch er, aber mit einer vagen Ahnung. «Sie sehen aus wie Journalisten», sagte er zur Begrüssung, «und Sie wie ein echter SVPler», sagten wir (natürlich nicht. Aber wir dachten es).
Härter anpacken
Der freundliche Mann klagte uns auf dem Weg in den hell erleuchteten Saalbau in Boniswil, der im übrigen ohne eigene Adresse auskommt und darum auch mit dem iPhone nur schwer zu finden ist, sein persönliches Leid. 36 Jahre sei er bei der gleichen Firma angestellt gewesen, 960 Angestellte habe diese Bude zu ihren besten Zeiten gehabt. Und heute? Alle weg. «Und die oben haben nicht nur abgarniert. Die haben auch noch alles kaputt gemacht.» Ihm geht die Abzocker-Initiative, und um die geht es heute Abend im dunklen Boniswil schliesslich, viel zu wenig weit. Härter müsse man diese da oben anpacken. Viel härter.
Dann waren wir da. Ein Mitarbeiter der lokalen Feuerwehr half einem Glücklichen mit einem Parkplatz ganz nah beim Saalbau beim Rückwärts-Einparkieren und begrüsste uns wie lange vermisste Freunde.
Keine Überraschungen
Der Saalbau selber, tja, den kennt jeder, der schon irgendwann mal ein Korbballspiel in Buckten oder eine Gemeindeversammlung in Eptingen mitgemacht hat. Eine Vitrine mit den Fahnen und Pokalen des lokalen Musikvereins, getäferte Decke, voll ausgefahrene Trennelemente, leicht stapelbare Stühle (der Andrang war gross).
Keine Überraschungen auch bei der Ausstattung des Saals, die der SVP angemessen war: Musikverein auf der Bühne, Schwarzwäldertorten und grosse Biere auf den Tischen, Mitgliederkontrolle per Nationalhymne («Jetzt sehen wir dann, wer ein richtiger SVPler ist!»), kleines Journalisten-Bashing und ein Kaläuerchen. «Warum sind wir in Boniswil? Weil es um Bonis geht!»
Geschenkt.
Denn nach der Begrüssung des Kantonalsekretärs, der Begrüssung der lokalen SVP-Frau und der Begrüssung des kantonalen Präsidenten, begann der Hauptanlass des Abends. Unter den Augen der versammelten Schweizer Medien trafen die beiden bestimmenden Figuren der Abzocker-Debatte zum ersten Mal aufeinander: Christoph Blocher und Thomas Minder.
Boxhandschuhe und verschobene Mikrofone
Minder begann schwungvoll, mit Einsatz von Requisiten (übergrosse Boxhandschuhe, Schweisstuch) und erhobener Stimme. Keine 30 Sekunden brauche er, um die Vorzüge seiner Vorlage zu präsentieren. «Gerade du als Kunstsammler musst wissen, Christoph, dass das Original immer besser ist als die Kopie.»
Minder versuchte seine früher schon in der Versammlung festgestellte Nähe zur SVP und auch zu Blocher («Bald wird er in der richtigen Partei sitzen!», rief der Kantonalpräsident zu Beginn) in der Debatte richtig einzusetzen. Er zog Vergleiche mit der Ausschaffungs- und der Minarettinitiative. Um den Gegenvorschlag zu diskreditieren (wie bei ersterer) und seine eigene Initiative als «Exportschlager» zu preisen (wie bei zweiterer …). Nach seinem schwungvollen Start, nach den ersten 30 Sekunden, auch noch nach den zweiten 30 Sekunden, war Minder immer noch gut unterwegs. Aber dann wurde er fahrig. Technisch. Zu detailliert. Ad-Hoc-Versammlungen, Vergütungsreglemente, Depot-Stimmen.
Blocher beängstigend gut
Blocher nutzte diese Schwäche gnadenlos aus – aber ohne Minder direkt anzugreifen. Blocher, der selber schon seine fahrigen und etwas abgeschlafften Momente hatte, war beängstigend gut. Bevor er auch nur eine Silbe zum Thema gesagt hatte, räumte er die Mikrofone von seinem Pult und machte einen bösen Spruch über das «Staatsfernsehen». Der Saal gehörte ihm.
Blochers Klammer für seinen Auftritt bestand aus zwei Teilen. Erstens: Die Familieninitiative, über die ebenfalls am 3. März abgestimmt wird, sei viel wichtiger. Und zweitens: «Lasst euch nicht von den Medien auseinandertreiben!» Innerhalb dieser Klammer setzte sich Blocher dezidiert für den Gegenvorschlag ein, der griffiger, schneller und klarer als die Initiative sei. «Mit dem Gegenvorschlag verhindern wir die Abzockerei, ohne dass tausende Arbeitsplätze verloren gehen.»
Ausgeglichen
Die Voten aus dem Publikum: ausgeglichen. Ein älterer Herr lobte die Klarheit von Blocher – dank ihm wisse er jetzt, was er zu stimmen habe und was er seiner Frau erzählen müsse (bei der Schlussabstimmung hielt er dann zweimal seine Hand hoch). Ein Anwalt für ausländische Holdings gab die Standortattraktivität zu bedenken. Der Fraktionschef im Aargauer Kantonsrat, der sonst zu «99 Prozent» mit Blocher einig sei, verglich Minder mit dem EWR-Blocher von 1992 und trat in einem, man nennt es wohl «flammenden» Votum für die Abzocker-Initiative ein. Ein kleiner Angestellter lobte schliesslich die strafrechtlichen Bestimmungen in der Initiative: «Jeder kleiner Büezer muss damit rechnen, ins Gefängnis zu kommen, wenn er einen Seich macht!»
So ausgeglichen wie die Voten aus dem Publikum war schliesslich auch das Abstimmungsresultat. Die Aargauer SVP-Delegierten unterstützen die Abzocker-Initiative von Thomas Minder mit 123 zu 119 Stimmen. Ein Zufallsmehr, «drei haben falsch gestimmt!», sagte Christoph Blocher zum Schluss lachend und setzte zu seiner wichtigsten Botschaft des Abends an.
«Wissen Sie», sagte er in dem ihm so eigenen Ton des Verschwörers, «diese Medien da drüben interessiert unsere gelebte Demokratie gar nicht. Die sind nicht da, weil sie wissen wollen, wie sie abgestimmt haben. Die wollen einen Keil durch unsere Partei treiben! Die freuen sich, wenn der Blocher verloren hat! Aber wissen Sie: Das hält unsere Partei aus. Wir haben wichtigere Abstimmungen vor uns. Schon bald wird wieder die Unabhängigkeit unseres Landes auf die Probe gestellt. Dann zählt es!» Jubel im Saal. Ja, Jubel. Dinosaurier Blocher hat im dunklen Boniswil zwar verloren. Aber wie eine Niederlage hat sich das nicht angefühlt.
Die Aargauer SVP war etwas überrascht vom grossen Medieninteresse und wollte zuerst jene Medien, die nicht auf dem kantonalen Verteiler stehen, gar nicht erst zulassen. «Sie interessieren sich ja sonst auch nicht für uns», sagte Kantonalsekretär Pascal Furer etwas wehleidig am Telefon. Er liess sich dann doch erweichen und genehmigte den Zutritt zum Saalbau in Boniswil. Die Zusage war aber mit der freundlichen Bitte (eher Aufforderung) verbunden, auch die anderen Parolen der SVP AG zu transportieren.
Machen wir doch gerne: Die Aargauer SVP sagt bei einer Gegenstimme deutlich Nein zum Familienartikel («Wir wollen doch unsere Kinder nicht dem Staat zur Erziehung übergeben!» und, aus einem poetischen Beitrag eines Kantonsschülers: «Lieber den Gripen als staatliche Krippen!»), Nein zum Raumplanungsgesetz und Ja zum A1-Zubringer Lenzburg (fragen Sie bitte nicht weiter nach).