Patienten müssen ehrlich sein – das gilt auch für kranke Spitäler

Das Kantonsspital Baselland macht vier Monate vor der Abstimmung über die Spitalfusion keinen guten Eindruck. Das liegt auch daran, dass die Verantwortlichen ihre Probleme lieber für sich behalten.

Das KSBL und CEO Jürg Aebi wissen seit Jahren genau, was auf sie zukommt.

Intern ist die Diagnose längst bekannt. An einer «Strategieklausur» am 28. Juni 2018 hat sie der Verwaltungsrat des KSBL einmal mehr schwarz auf weiss vor leitenden Angestellten präsentiert: Die seit einigen Jahren verfolgte Strategie schadet der Gesundheit des KSBL.

In dieser Präsentation heisst es: Indem man «moderat» spare «gemäss Massnahmenkatalog», drohen Fehlbeträge im zweistelligen Millionenbereich. Das Worst-Case-Jahresdefizit, das in den «Strategischen Szenarien» steht: «22MCHF».

Damit nicht genug. Auch «Probleme für VGD» (die Baselbieter Volks- und Gesundheitsdirektion) sowie ein «negatives Licht auf VR», also auf sich selbst, hatte man kommen gesehen. All das nahm man in Kauf – auch die mögliche «Verärgerung» der Mitarbeitenden.

Die Symptome, die das KSBL mittlerweile zeigt, sind besorgniserregend: Ärzte und Krankenpfleger erzählen von Patienten, die im Spital verloren, und von Medikamenten, die vergessen gingen. Interne Dokumente bestätigen: Die Lage ist angespannt.

https://tageswoche.ch/politik/verlorene-patienten-und-vergessene-medis-so-schlecht-geht-es-dem-kantonsspital-baselland/

Jürg Aebi, der CEO der Spitalgruppe, hat nach Erscheinen eines TagesWoche-Artikels ein Mail an die Mitarbeitenden des KSBL versandt. Was er «am allermeisten» bedauere, betont er, sei das «illoyale Verhalten Einzelner». Es füge allen Angestellten Schaden zu.

Durchhalteparolen und Ermahnungen

Aebi meint damit die vielen Menschen am KSBL, die mit der TagesWoche gesprochen und Informationen weitergegeben haben. Weil sie besorgt sind. «Diesem Thesenjournalismus, der sich ausschliesslich auf anonyme Quellen stützt, können wir nur mit einer professionellen Kommunikation und unserer Wertehaltung begegnen», schreibt der Spitaldirektor.

577 Wörter enthält das Mail an seine Angestellten. Sie sollen mahnen und beruhigen, doch zwischen den Zeilen ist Verzweiflung spürbar.

Gleich mehrfach appelliert Aebi an das Gewissen seiner Leute: Wer den Medien Informationen zukommen lasse, füge dem KSBL «massiven Schaden zu», solche Menschen zeigten «eine erschreckende Gleichgültigkeit gegenüber ihren Kolleginnen und Kollegen». Der CEO schliesst mit dem Appell: «Ich wünsche mir, dass wir zusammenhalten und uns nicht auseinandertreiben lassen.»

Was das Mail nicht enthält, ist ein Dementi. Jürg Aebi streitet gegenüber seinen Angestellten keine einzige Darstellung der TagesWoche ab.

Warten auf die erlösende Fusion

Ziele heiligen bittere Pillen. Mit der derzeit verfolgten Sparstrategie bis 2019 erhalte man sich angeblich eine «Vielfalt der Optionen nach Entscheid Spitalgruppe» für das KSBL als «Stand-alone»-Firma, also als unabhängiges Unternehmen.

Sprich: Sollte die Spitalfusion von der Bevölkerung abgelehnt werden, hofft die Leitung des Baselbieter Kantonsspitals, gerade noch knapp fit genug zu sein, um danach eigenständig zu überleben.

Die Realität sieht aber so aus: Ein Ja zur Fusion wäre ein Lebensretter für den angeschlagenen Betrieb. Am 10. Februar 2019 wären die systemischen Schwierigkeiten dann nicht mehr die Probleme des KSBL, sondern der gemeinsamen Spitalgruppe beider Basel. Und sollte die Bevölkerung «Nein» sagen, ist hoffentlich noch eine «Basis für eine Neuausrichtung» übrig.

Wie eine gesunde Neuausrichtung auszusehen hätte, das wissen VR und Geschäftsleitung des KSBL ebenfalls längst, wie aus der Präsentation hervorgeht. Es gibt ein Szenario, das «kurz- und langfristig Erfolg» für das KSBL ermögliche – das Szenario «Strukturbereinigung». Die finanziellen Ziele könnten damit «erreicht werden».

Warum man die Strukturen nicht bereinigt vor einer Fusion – in der sich idealerweise zwei möglichst gesunde Partner vereinen sollten –, wird klar, wenn man die dafür notwendige Massnahme sieht. Sie heisst: «Schliessung Standort Bruderholz oder Laufen».

Doch das bekommt man politisch nicht durch. Geplant war bei der Spitalfusion ursprünglich nämlich, den 24-Stunden-Notfall im Spital Laufen durch eine Permanence mit beschränkten Öffnungszeiten zu ersetzen. Ein Vorhaben, das die Baselbieter Regierung nach Protesten aus der Region rückgängig machte – Laufen wird den 24-Stunden-Notfall behalten.

Weitere massive Leistungskürzungen

An den Problem-Standorten Laufen und Bruderholz ist das grösste Sparpotenzial vorhanden – doch der eigentlich nötige Schritt, eine Schliessung, ist politisch nicht durchsetzbar. Und sie würde auch die Spitalgruppe, so wie sie geplant ist, verunmöglichen, eine Neuaushandlung der Staatsverträge nötig machen.

Also spart man stattdessen hier und da. Ein konkreter Vorschlag ist etwa die Schliessung des IMC (Intermediate-Care-Abteilung) im Spital Laufen (prognostizierte Ersparnis 2019: 700’000 Franken). So steht es in einem Katalog an Sparmassnahmen, der der TagesWoche vorliegt. Mittels eines Massnahmenplans in den Bereichen Chirurgie, Orthopädie und Bereichsleitung Kliniken könne das KSBL im selben Jahr zusätzlich 1,8 Millionen Franken einsparen.

Im gleichen Dokument wird ausdrücklich vor einer «ungesteuerten Sparstrategie» gewarnt, «die das KSBL und damit den Weg in die Spitalgruppe hochgradig gefährdet, weil … durch ein unkoordiniertes Vorgehen die nachhaltige Sicherstellung der Gesundheitsversorgung der regionalen Bevölkerung nicht gewährt werden kann». Und weil «damit durch die Angebotsverminderung ein politischer und ein Verlust an Glaubwürdigkeit resultiert (Gefährdung der Fusion durch Imageverlust)».

Die Angst vor dem Imageverlust

Eigentlich weiss das jeder Arzt: Eine der wichtigsten Voraussetzungen zur Genesung ist die Ehrlichkeit des Patienten. Wenn Kranke wichtige Symptome verschweigen oder nebensächliche Symptome überbetonen, kann man ihnen nicht richtig helfen.

Diese Erkenntnisse hätten die Verantwortlichen – in Gesundheitsthemen eigentlich keine Laien – längst auch in ihre tägliche Arbeit an der gemeinsamen Spitalgruppe einfliessen lassen müssen. Doch das Bild, das sie gegen aussen vermitteln, ist ausgerechnet das, vor dem sie in ihren eigenen Risikoanalysen seit Jahren gewarnt wurden. Und immer wieder steht die Angst um das eigene Image im Zentrum.

Das zeigt schon ein Dokument aus dem Jahr 2016, das der TagesWoche vorliegt. In den «Projektrisiken aus Sicht KSBL» zur Spitalfusion steht «Imageschaden durch negative Medienberichte» an erster Stelle. Aus den vorgeschlagenen Gegenmassnahmen:

«Abgestimmte professionelle Kommunikation, ‹Leserbrief›-Reaktionen vorbereiten und organisieren, Internetkommunikation aufbauen».

Kein Wunder bewahrheiten sich die Vorhersagen der eigenen Risiko-Analysen, auf die man eigentlich hätte vorbereitet sein müssen. Mit Auftrags-Leserbriefen und Internet-Kommentaren schafft man bei einem umstrittenen Grossprojekt im Gesundheitswesen kaum Vertrauen.

Volle Transparenz und Ehrlichkeit über die Absichten, die Zustände und die Zahlen wären hingegen hilfreich, ja grundlegend für die Vertrauensbildung bei einem Vorhaben dieser Tragweite. Auch über den Gesundheitszustand der einzelnen Regionalspitäler des KSBL. Wie geht es dem Spital Laufen wirklich? Wie viel Verlust schreibt das Spital am Standort Bruderholz ganz genau? Diese Zahlen werden seit Jahren unter Verschluss gehalten.

Mit ähnlichen Fragen setzt sich auch die Interpellation von SP-Grossrat Kaspar Sutter auseinander. Es ist zwingend, dass die Verantwortlichen über den wahren Zustand des KSBL umfassend und öffentlich informieren. Die Fusion ist für die Region Basel das grösste und teuerste politische Projekt der Gegenwart. Zur Debatte stehen unsere öffentlichen Spitäler, betroffen sind rund 10’000 Arbeitsplätze.

Laut VGD sollen die offenen Fragen «noch im 2018» beantwortet werden. Jedenfalls, so der Sprecher, sei das «vorgesehen».

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