Mit Hausmittelchen die Geburt einleiten, ist das sinnvoll?

Wenn der Geburtstermin naht, sind viele werdende Mütter mit den Nerven am Ende. Wehe wenn dann die Wehen nicht einsetzen wollen. «Hausmittelchen» sollen das Warten verkürzen.

Eine von vielen Methoden, dem Prozess der Geburt «nachzuhelfen»: Der Ultraschall von Delfinen entspanne das Kind im Bauch der Mutter, heisst es in Peru. Wirklich wahr – oder bloss ein Placebo-Effekt? (Bild: MARTIN MEJIA)

Wenn der Geburtstermin naht, sind viele werdende Mütter mit den Nerven am Ende. Wehe wenn dann die Wehen nicht einsetzen wollen. «Hausmittelchen» sollen das Warten verkürzen.

Am Ende der Schwangerschaft wünschen sich viele Frauen die Geburt sehnlich herbei. Vieles, was früher mühelos war, ist rund um den Entbindungstermin nur noch eine Strapaze. Weder an erholsamen Schlaf ist zu denken, noch kann frau sich richtig bücken oder sich weit von einer Toilette entfernen. Wie also, fragen sich dann viele Schwangere, kann ich helfen, endlich die Wehen auszulösen?

Die meisten versuchten es laut der Umfrage mit Laufen, Sex, scharfen Speisen oder Brustwarzenmassage.

Von Freunden, Bekannten und Ärzten bekommt man als Betroffene eine Vielzahl von Hausmitteln zu hören. Laut einer Umfrage unter 200 Hochschwangeren greift etwa die Hälfte in solchen Situationen dann auch wirklich auf solche Hausmittelchen zurück – in der Hoffnung, dass es endlich losgeht. Die meisten versuchten es laut der Umfrage mit Laufen, Sex, scharfen Speisen oder Brustwarzenmassage.

Einige gaben auch an, sich körperlich zu betätigen, Abführmittel zu nehmen oder Akupunktur anzuwenden. 
Doch bei einer Frau um die vierzigste Schwangerschaftswoche herum kann es naturgemäss jeden Moment losgehen.

Ob die Wehen also ohnehin begonnen hätten oder durch etwas Bestimmtes hervorgerufen wurden, kann man hinterher eigentlich nicht sagen. Wollte man den Zufall ausschliessen, müsste man, wie üblich in der Medizin, systematisch vorgehen: Eine grössere Anzahl von Frauen probiert ein und dasselbe Mittel aus. Eine ähnlich grosse Gruppe mit vergleichbaren Voraussetzungen tut dagegen nichts. Dann kann man am Ende auszählen, in welcher Gruppe die Kinder früher kamen. 


Was tun bei Terminüberschreitung?

Wir befragten einen Mediziner und eine Hebamme nach dem Wunsch vieler Frauen, den Geburtstermin zu beeinflussen, und dem Sinn und Unsinn landläufiger Empfehlungen. 
Der Basler Daniel Surbek, der inzwischen als Ordinarius und Chefarzt an der Universitätsfrauenklinik am Inselspital in Bern tätig ist, unterscheidet zwischen dem Bemühen der Schwangeren, die Geburt selbst so gut wie möglich vorzubereiten und einer Geburtseinleitung aus medizinischen Gründen.

Sollte es Gründe für eine baldige Geburt geben, sei es für die Gesundheit von Mutter oder Kind, müsse man absolut sicher gehen und zu medizinische Massnahmen greifen. Wenn es dagegen um Wehen-Unterstützung oder eine sanfte Geburtseinleitung geht, spreche nichts gegen den ein oder anderen Versuch. «Auch wenn vieles davon für Mediziner schwer nachzuvollziehen ist», sagt der Gynäkologe, der an der neuen Leitlinie zum »Vorgehen bei Terminüberschreitung und Übertragung» mitgearbeitet hat.

«Der Homo sapiens ist kein exakt gebärendes Wesen.»


Renate Egelkraut, Geburtshelferin

Doch ist es überhaupt sinnvoll, den Geburtsbeginn ohne Not von aussen auszulösen? Die Geburtshelferin und Landesvorsitzende des Hebammenverbandes Nordrheinwestfalen, Renate Egelkraut, gibt zu bedenken, dass die Schwangerschaftsdauer ihren Sinn habe.

Werdende Eltern sollten sich auch nicht zu sehr auf den einmal errechneten Termin fixierten. Denn dieser orientiere sich an einem statistischen Mittelwert, von dem sich die meisten Kinder wenig beeindrucken lassen. «Manche Tiere haben eine auf den Tag vorhersagbare Tragzeit. Aber der Homo sapiens ist kein exakt gebärendes Wesen.» Der Termin sei nur ein statistischer Zeitrahmen, um den herum das Kind erwartet wird – plus, minus sieben Tage.

Wobei Erstgebärende ihr Kind eher später bekommen und in einigen Familien Kinder häufig übertragen, also erst nach der 42. Schwangerschaftswoche geboren werden. «Erkundigt euch mal bei Mutter und Tanten», rät die langjährige Hebamme den Schwangeren. Das erspart einem unnötige Ängste, wenn das Kind auf sich warten lässt.

«Sagt lieber Ende Oktober, oder im Herbst.»

Auch den genauen Termin würde die Fachfrau Egelkraut gegenüber dem Umfeld vage halten. «Sagt lieber Ende Oktober, oder im Herbst.» Denn wenn das Ereignis näher rücke, erkundigten sich Freunde oder Verwandte gern täglich, ob es etwas Neues gebe. Und das erhöht unnötig den Druck.

Andererseits wünschen sich auch einige Schwangere selbst die Planbarkeit. Der Mann soll verständlicherweise bei der Geburt dabei sein. Der ist aber vielleicht nur zu einem bestimmten Zeitpunkt verfügbar, muss Urlaub einreichen oder eine Dienstreise planen. Aus dieser Perspektive heraus ist es durchaus verständlich, dass Frauen nachhelfen wollen.

Methoden um die Wehen in Gang zu bringen für den Hausgebrauch kursieren viele, die meisten sind lange überliefert. Doch was ist wirklich nützlich und was kann sogar schaden?

  • Treppensteigen
    Aus Daniel Surbeks Sicht bringt das Treppensteigen ausser Mühen und Schweiss wenig. «Es gibt zwar Studien, die Wehentätigkeit nach körperlicher Aktivität gemessen haben, aber keine zeigt, dass es als Methode zur Geburtseinleitung funktioniert.»
    Zwar könne sehr schwere körperliche Belastung in jeder Phase der Schwangerschaft zu Wehen führen. Das zu provozieren, sei aber nicht ratsam, meint der Gynäkologe.

  • Himbeerblättertee & Co.
    Von vielen Hebammen hören Frauen immer wieder den Tipp, in den Wochen vor der Geburt Himbeerblättertee zu trinken. Das soll den Muttermund weich machen. Surbek hat nichts gegen das Teetrinken: «Das ist eine harmlose Massnahme.» Aber dass dies aber den Muttermund weich, also reif mache, sei ein Märchen. In Internetforen werden weitere abortiv wirkende Pflanzen aufgezählt, aus denen sich ein Heissgetränk in hoher Konzentration herstellen lässt, unter anderem Eisenkraut, Zimt, Ingwer oder Nelken. Davon würde der Mediziner lieber abraten. Letztlich wisse niemand, was passiert, auch weil die Dosierung völlig unklar sei.
  • Nelkenöl
    Angeblich soll, an den richtigen Ort gebracht, auch ein in Nelkenöl getränkter Tampon den Startschuss geben. Doch auch darauf kann man laut dem Berner Chefgynäkologen gut verzichten, zumal es die Scheidenschleimhaut reizt oder Allergien verursachen kann.

  • Homöopathie und Akupunktur
    Diese Alternativen werden auch immer wieder zur Geburtsvorbereitung angeboten. Trotz vereinzelter Studien kann nicht abschliessend gesagt werden, ob das wirkt oder womöglich eher schadet. Man muss sich daher fragen, ob der Nutzen der Anwendung wirklich auf Seiten der Empfängerin der Heilleistung liegt, die dafür in den eigenen Geldbeutel greifen muss.
  • Massage der Brustwarze
    Diese Massage zielt auf eine Oxytozinausschüttung ab, ein Hormon, das entscheidend für den Geburtsprozess ist. Nachgewiesenermassen werden dadurch Gebärmutterkontraktionen ausgelöst. Ob das Reiben der Brustwarzen aber wirklich Wehen in Gang bringen kann, ist wissenschaftlich nicht bestätigt.

  • Rizinusöl
    Der vor allem früher hoch gehandelte «Wehencocktail» ist eine Mischung aus Rizinusöl, Obstsaft und Alkohol. Die Einnahme führt zu Darmkrämpfen und teilweise schweren Durchfällen. Anders als bei einem Einlauf hört das jedoch nicht nach einigen Entleerungen wieder auf. Die Idee dahinter: Die starken Bewegungen der Darmmuskulatur sollen die Gebärmutter aktivieren. Allerdings hat eine nochmalige Sichtung aller entsprechenden Studien durch Experten jüngst keinen Beweis zutage gefördert, dass Rizinusöl die Geburt schneller einleitet als ein Plazebo, also ein unwirksames Scheinmedikament.
    Unklar blieb auch, wie eine optimale Dosierung auszusehen hat. Augenscheinlich wurde jedoch, dass den meisten Frauen nach dem Trinken übel wurde. Bedenkt man, dass die Frau ihre ganze Kraft für die Geburt braucht, ist die Methode nicht anzuraten.
    Gynäkologe Surbek rät noch aus einem anderen Grund ab: Alkohol ist für das Ungeborene gesundheitsschädigend und sollte grundsätzlich in der Schwangerschaft vermieden werden. Und das kann zu Krämpfen im Darm und der Gebärmutter führen. Frauen berichten nach einer solchen Erfahrung, dass sie unerträgliche Wehenschmerzen und Todesangst hatten. Dazu kommt, dass das Kind zu wenig Sauerstoff bekommen kann, da die krampfende Gebärmutter nicht mehr gut durchblutet ist. Zudem ist der Gynäkologe überzeugt: «Als echte Geburtseinleitung funktioniert das nur, wenn die Geburt direkt bevorsteht.» Warum also nicht warten, bis die Natur ihren Lauf nimmt?

  • Einlauf und Nahrungsmittelentzug
    Beides zielt ebenfalls auf die Anregung der Darmtätigkeit ab, die sich auf die Gebärmutter übertragen soll, ist aber ebenfalls ungesichert. Skurril mutet der Versuch an, das Baby durch Hunger aus dem Mutterleib zu locken – indem die Mutter zu wenig isst. In der Klinik wird zur Geburtseinleitung meist ein Einlauf gemacht, er soll in diesem Fall Verstopfungen beseitigen, um dem Baby bei der Geburt den vollen Platz im Becken zu geben.

  • Heisses Bad
    Das heisse Bad wird oft versucht, es soll die Muskulatur entspannen. Es gehört häufig auch zu den Angeboten in Geburtskliniken. «Wenn es nicht zu heiss ist, ist es harmlos und kann eine entspannende, schmerzlösende Wirkung während der Geburt haben», sagt Surbek. Zuhause sollte allerdings immer jemand in der Nähe sein, da Schwangeren das Blut schnell in die Extremitäten geht und eine Ohnmacht ausgelöst werden kann.
 Frauen, die nur schmerzhafte Wehen haben, ermutigt Surbek dazu, in eine Klinik zu gehen. «Es ist kein Problem, wenn man einmal zu oft kommt. Das nimmt einem niemand übel», sagt er.

Schon vor der Geburt ist klar, wer das Sagen hat

In einem sind sich am Ende Frauenarzt und Hebamme einig: Den Geburtsbeginn kann man nicht in allen Fällen erzwingen. Daher helfen alle Versuche nur, wenn der Körper schon bereit ist.
Und auch das Fazit der Wissenschaftler, die die Hochschwangeren Frauen befragten, lautet: «Trotz aller Versuche der Frauen, die Geburt selbst anzustossen, kristallisierte sich heraus, dass das etwas ist, worüber Mami keine Kontrolle hat.» Laut der Forscher beginnt der Prozess eben erst dann, wenn der Fötus bestimmte Hormone ausschüttet. Schon bei der Geburt ist also klar, wer in Zukunft das Sagen in der Familie haben wird.

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