Die Melodie der engagierten Reflexion

Wie die Kapelle auf einem untergehenden Schiff sucht Georg Kreis in seiner letzten Kolumne für die TagesWoche die richtigen Töne. Es geht ihm darum, eine weltoffene Haltung zu retten.

Das Ende vom Lied: Wie versorgen wir uns künftig mit publizistischer Nahrung?

Noch so vieles wäre anzufügen gewesen! Trotzdem ist nun (vorläufig?) Schluss. Und jetzt soll dazu was geschrieben werden. Es gäbe freilich auch eine andere Haltung: Einfach wie bisher nochmals – und ohne Requiem – eine Edition produzieren, als ob nichts geschehen wäre, und dann abtreten. Ordentlicher Dienst der bis zuletzt weiterspielenden Kapelle auf einem untergehenden Schiff.

Noch einmal wie bisher: Dann wäre eine Bemerkung fällig zu den vielen Lügen der Rechtfertiger dieser unsäglichen Selbstbestimmungsinitiative, ein Kommentar zum Debakel im Selbstbestimmungsversuch von Moutier, eine Kritik der plötzlichen Infragestellung des UN-Migrationspakts. Oder eine Abrechnung mit den schweizerischen Hurrapatrioten, die bereit sind, mit ihrem sturen Festhalten am traditionellen Waffenrecht ihrem angeblich geliebten Land zu schaden. Ein Bericht zum Versuch der EU, die italienischen Populisten in Schach zu halten.

Oder eine Überlegung zur Frage, warum nach einem ganzen Jahr die beiden katalanischen Konfliktparteien nicht klüger geworden sind. Oder ein Versuch, mehr Aufmerksamkeit für die Kriegsgräuel in Jemen zu erzeugen. Hingegen nichts zu den bevorstehenden Bundesratswahlen und nichts über den Präsidenten der USA. Beides wird von anderen Medien ohnehin viel zu stark beachtet.

Lokal, regional, global

Die aufgeführten Themen würden konkret in alle Richtungen gehen. Ihnen gemein ist aber ein Kern, von dem aus wir der Welt begegnen. Dieser ist nicht leicht zu umschreiben.

Vielleicht kann ein Definitionsversuch in diesem Fall so lauten: Der Kern besteht aus Nachdenken über Zustände, die politischer Verbesserung bedürfen würden oder vor Verschlechterung bewahrt werden sollten. Also geht es um Verhältnisse, die wir selber mitgestalten.

Jeder einzelne hier erschienene Beitrag hatte bloss das Gewicht eines winzigen Sandkorns. Diese Körnchen hatten unterschiedliche Inhalte, konnten nie Anspruch auf Vollständigkeit stellen und als definitive Statements gelten. Sie waren nicht in der Meinung geschrieben, irgendwo irgendwelche Durchbrüche zu erzielen. Die Aufgabe bestand darin, engagiert und doch nicht überheblich zu sein.

Es ging und geht bei einer solchen Kolumne eben um mehr als das jeweilige Thema: Im Idealfall geht es um eine bestimmte Melodie, die gemacht und gehört wird und die einen inneren Zustand und eine Haltung gegen aussen unterstützt. Ob das mit einem lokalen, nationalen oder globalen Thema geschieht, ist sekundär. Einmal sind es die örtlichen Sans-Papiers, einmal ist es die nationale Raumplanung und einmal der weltweite Plastikabfall.

Wo waren all die anderen?

Nun aber eben nicht wie bisher: Dazu sind ein paar Überlegungen zu der mit dem Ende der TagesWoche gegebenen Situation fällig. Da ist zunächst vor allem der Dank für die während sieben Jahren ermöglichte Publizistik am Platz. Und sicher keine Bitternis angebracht, wie sie Mäzenen nach dem «Honeymoon» gerne entgegenschwappt, wenn ihre Wohltaten nicht ewig währen. Ein weiterer Dank soll an die Redaktion gehen, die dem Autor stets das freie Feld überlassen, eine Carte blanche gegeben hat.

Basel wird ohne TagesWoche tatsächlich um eine Stimme bzw. ein ganzes Stimmenbündel ärmer sein. Dabei meine ich sicher nicht in erster Linie meine Beiträge, die teilweise vielleicht auch an anderen Orten hätten erscheinen können. Sie waren einfach eine Zugabe, die indirekt daran erinnerte, dass die Welt nicht nur aus Basel besteht.

Was nun eingestellt wird, das ist eine in den vergangenen Jahren immer stärker zu einer wichtigen Marke gewordene Publizistik zum Alltag in dieser Stadt. Das ging weit über die Produktion einer gewöhnlichen Lokalberichterstattung hinaus – und wird jetzt fehlen.

Wollte man lieber eine Zeitung haben, über die man täglich schimpfen kann?

Eine Frage kommt im Moment wieder hoch, da dieses Basler Blatt eingestellt wird. Sie zielt nicht auf die Mäzenin, die sich engagiert hat, sondern auf die vielen anderen, die sich ebenfalls hätten engagieren können – und hätten engagieren müssen, als 2011 eine Ersatzverlegerschaft für die BaZ gesucht wurde: Warum ist das reiche Basel nicht bereit gewesen, via Handelskammer und gestützt auf private Portefeuilles eine eigene Tageszeitung zu halten? Hat man die Bedeutung eines solchen Blattes für die Identität verkannt? Wollte man lieber eine Zeitung haben, über die man täglich schimpfen kann? Und warum ist schwer vorstellbar, dass am Rheinknie etwas Ähnliches erblühen könnte wie das breit abgestützte elektronische Limmat-«Blatt» «Republik»?

Jetzt kann man klagen, dass das ehemalige Basler Hauptblatt von Zürich aus ferngesteuert wird – als ob das in den letzten Jahren nicht auch schon der Fall gewesen wäre. Wer für Basel Journalismus macht, muss nicht hier in den Kindergarten gegangen sein.

Wie es Journalistinnen und Journalisten gibt, die gute Lokal- und Regionalarbeit leisten, ohne hier aufgewachsen zu sein, gibt es Basler Medienschaffende, die im fernen Zürich einen sehr guten Job machen. Philipp Loser von der Inlandredaktion des «Tagi» ist einer. Er hat einen Teil seines früheren Wegs bei der TagesWoche gemacht. Da zeigt sich übrigens eine andere Funktion, die dieses Blatt hatte: Es rekrutierte Nachwuchs, bot ihm Start- und Entfaltungsmöglichkeit, und es war Zufluchtsort für solche, die aus begreiflichen Gründen nicht für Somms BaZ arbeiten wollten.

Abschied vom Prinzip «Leibblatt»

Naheliegend sind in dieser Stunde die Überlegungen zur Frage, was die TagesWoche in ihren letzten Jahren an Mehrwert geschaffen hat und was fortan folglich fehlen wird. Es ist jedoch nicht an den direkt Beteiligten, darauf eine Antwort zu geben. Stellen dürfen sie die Frage allerdings schon, zumal sie die Antwort nicht scheuen müssen.

Darin steckt eine Frage mit generellerer Dimension: Wie versorgen wir uns mit publizistischer Nahrung?

Wir ernähren uns heute (stelle ich mir vor) mehr denn je aus verschiedenen Gefässen. Teils mit gezieltem Suchen nach bestimmtem Nachschub, den wir gemäss unserer Einstellung brauchen, teils aber auch überrascht von Begegnungen mit Unerwartetem.

Wir müssen unsere publizistische Kost mehr und mehr an den verschiedensten Orten zusammensuchen.

Andererseits ist es verständlich, dass wir den Wunsch nach erprobten Quellen haben und nicht möchten, dass wir uns jedes Mal fragen müssen, aus welchem Hintergrund uns welche Ansicht zugetragen wird. Wenn das mit den Printmedien nicht mehr so gut funktioniert (immerhin gibt es noch Radio SRF) und im Internet schon gar nicht, dann müssen wir im Alltag den Austausch mit zuverlässigen Gesprächspartnern verstärken – was ohnehin gut ist. Weniger Social Media, mehr wirklich soziale Begegnung («en vrai»).

Vor ein paar Stunden bin ich in der Stadt einer Frau begegnet, die über den Verlust der TagesWoche klagte und mich fragte, was sie denn nach dem 16. November nun lesen solle. Ich konnte ihr nur sagen, dass wir uns in diesen Zeiten immer weniger auf ein «Leibblatt» als zuverlässigen Lieferanten publizistischer Nahrung verlassen können. Wir müssen unsere Kost mehr und mehr an den verschiedensten Orten zusammensuchen.

Wenn ein «Laden» schliesst, gibt er seiner Kundschaft vielleicht Empfehlungen, wohin sie sich nun ersatzeshalber wenden soll. Im vorliegenden Fall kann und soll eine solche Empfehlung nicht abgegeben werden. Klammer auf: Wegen der Originalität des vorliegenden Blattes gibt es ja ohnehin keine Ersatzlösung. Klammer geschlossen.

Empfohlen sei, bei sich zu bleiben und zugleich Ausschau zu halten – und gegenüber der sibyllinisch in Aussicht gestellten Fortsetzung im neuen Jahr neugierig zu bleiben. Die Welt dreht sich weiter. Also: no last words.

So viel dann doch

Als letzte Worte in diesem Abgesang aber doch noch ein paar Zeilen, die vor der Mitteilung vom Ende des Blattes im Hinblick auf einen Beitrag zur SVP-Initiative bereits vorbereitet worden sind: Die Befürworter der Selbstbestimmungsinitiative geben an, die Verfassung als solche vor Einschränkungen durch Völkerrecht schützen zu wollen. Darum geht es ihnen aber überhaupt nicht. Die Vorgeschichte der jetzigen Initiative zeigt, dass es ihnen um ihre eigenen Initiativen geht.

Auslösend für das aktuelle «Volksbegehren» war die Nichtbeachtung des drakonischen Ausschaffungsmechanismus, der durch eine ihrer Initiativen der Schweiz beschert worden war. Es soll nun dafür gesorgt werden, dass solche Initiativen in der anschliessenden Umsetzung sowie bei Urteilen durch das Bundesgericht nicht mehr eingeschränkt werden. Dies ist nämlich nach heutiger Praxis – zum Glück – der Fall, weil sie durch Beachtung anderer Verfassungsgebote, zum Beispiel das der Verhältnismässigkeit, oder durch Berücksichtigung der Menschenrechte entschärft werden.

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