Das gute Geschäft mit den besten Nationalitäten

Ein Professor stellt in Zürich ein Ranking der Qualität aller Nationalitäten der Welt vor. Finanziert hat seine Studie eine Firma, die mit Staatsbürgerschaften Geld verdient – auch in der Schweiz.

Sind nicht nur in Agentenfilmen oft nahe beieinander: Geld und Pässe, hier Jason Bournes Schweizer Bankschliessfach im Agenten-Thriller «The Bourne Identity» (2002).

(Bild: Screenshot YouTube/Symbolbild)

Ein Professor stellt in Zürich ein Ranking der Qualität aller Nationalitäten der Welt vor. Finanziert hat seine Studie eine Firma, die mit Staatsbürgerschaften Geld verdient – auch in der Schweiz.

«Diese Veranstaltung wird live gestreamt. Falls es kontroverse Fragen gibt, halten Sie sich bitte zurück», sagte Rechtsanwalt Christian H. Kälin am Donnerstag im Hotel Park Hyatt in Zürich zum Publikum. Dann begann er mit der Präsentation einer neuen, «einzigartigen» Studie der Firma Henley & Partners. Es werde gefilmt, wer die Veranstaltung verlassen möchte, habe jetzt noch die Gelegenheit dazu. Die persönlich eingeladenen und registrierten Gäste blieben sitzen.

Kälin begann mit der Feststellung, er selber halte das Ranking seiner Firma für kontrovers: «Ich war mein Leben lang der festen Überzeugung, dass die Schweizer Nationalität die beste ist. Daran gab es nie den geringsten Zweifel.» Aber die deutsche Nationalität übertrumpfte alle anderen.

Deshalb, so Kälin, sei er wegen der Studie seiner eigenen Firma «am Boden zerstört» gewesen: Laut dem «Quality of Nationality Index» (QNI) von Dimitry Kochenov, Professor für Verfassungs- und Staatsangehörigkeitsrecht an den Universitäten Groningen (NL) und Princeton (USA), lag die deutsche Nationalität von 2011 bis 2015 ungeschlagen an der Spitze.

Die Schweiz kommt zwar in die Top Ten, liegt aber auf Platz acht, besiegt nicht nur von der deutschen, sondern auch von den benachbarten Nationalitäten Österreichs und Frankreichs.




Staatsbürgerschaft als Einnahmequelle

Kälin hat bekannte Freunde. Für das Vorwort seines juristischen Bestsellers «Switzerland Business & Investment Handbook» (allerlei Wissenswertes über die Schweiz für ausländische Geschäftsleute und Investoren) griff der damalige Wirtschaftsminister, Bundesrat Johann Schneider-Ammann, in die Tasten. Kälin selbst ist Vorstandsvorsitzender des Exekutivkomitees von Henley & Partners.



Rechtsanwalt Christian H. Kälin präsentiert am Donnerstag, 2. Juni 2016 in Zürich den ersten Quality of Nationality Index von Henley

Rechtsanwalt Christian H. Kälin präsentiert am Donnerstag, 2. Juni 2016 in Zürich den ersten Quality of Nationality Index von Henley & Partners.

Die global tätige Beraterfirma mit über 20 Standorten verdient ihr Geld damit, privaten und staatlichen Klienten in Sachen Wohnort und Staatsbürgerschaft zu dienen. «Jedes Jahr verlassen sich Hunderte von vermögenden Individuen, Familien und ihre Berater auf unsere Expertise und Erfahrung in diesen Bereichen», heisst es auf der Firmen-Website. Die Geschäfte gehen gut. Allein die Dienstleistungen für Staaten hätten schon zu über fünf Milliarden Dollar Direktinvestitionen geführt.

Zu Kälins Klienten gehört auch die Schweiz. Beraten habe man das Land bei der «Gestaltung, der Umsetzung und der internationalen Vermarktung des Schweizer Niederlassungsprogramms, welches Immigrationsrecht mit den Bestimmungen zur Pauschalbesteuerung für vermögende Einzelpersonen und Familien verbindet». Kälin sprach bei der Präsentation denn auch Klartext, warum man das QNI-Ranking, das von nun an jährlich erscheinen soll, ins Leben rief.

«Staatszugehörigkeit ist zu einem ökonomischen Gut geworden.» 

Rechtsanwalt Christian H. Kälin

Anhand der Republik Malta (ebenfalls mit Niederlassung von Henley & Partners – die südeuropäische Insel ist ein wichtiger Klient, unter anderem kümmerte man sich um die Neugestaltung des «High Net Worth Resident Schemes») veranschaulichte er, worum es ging: Schon nur die 1200 Anträge für die maltesische Staatsbürgerschaft hätten 1,5 Millionen Euro an Wert, referierte Kälin.

«Vergleichen Sie die Zahl 1200 mit der Zahl der 810’000 Staatsbürgerschaften, die die EU-Staaten allein im Jahr 2010 verliehen haben», sagte Kälin. Diese Zahl stünde in einem «krassen Gegensatz» zu der des kleinen Landes Malta – besonders, wenn man sie mit den generierten Investitionssummen vergliche. Zwar hätten juristisch alle Eingebürgerten die Voraussetzungen erfüllt, seien also «offiziell ‹ideale Bürger›», so Kälin, um anzufügen: «Wobei sich diese Sicht der Dinge ändert, wenn man mit Politikern spricht.»

Man müsse die Sache jedoch gar nicht politisch betrachten: Die Zahlen sprächen für sich. Gerade kleine Länder würden von gut ausgewählten Einwanderern direkt profitieren, die «Rangliste der Qualität der Nationalitäten wird dafür natürlich hilfreich sein». Es sei nicht von der Hand zu weisen: «Staatszugehörigkeit ist zu einem ökonomischen Gut geworden.»

Der hilfreiche Professor

Länder-Rankings gibt es viele – der QNI misst etwas anders. Die Studie von Dimitry Kochenov berücksichtigt sowohl interne (wirtschaftliche Stärke, Ausmass der Entwicklung anhand des UN Human Development Index, Frieden und Stabilität) als auch externe «Werte» der Nationalität (Vielfalt und Gewicht der Niederlassungsfreiheit sowie Vielfalt und Gewicht der Reisefreiheit).

Es ist laut Kochenov die weltweit erste Studie, die nationalitätsbezogene Faktoren der Niederlassungsfreiheit quantifiziere. So wird beispielsweise ein Liechtensteiner Pass hoch bewertet, weil er dem Besitzer vollen Zugang zu allen wichtigen Rechten in 31 Ländern auf der Welt garantiert. Ein kanadischer Pass hingegen ist mit keinerlei vergleichbaren extraterritorialen Rechten verbunden. So führt das Nationalitäten-Ranking zu einigen interessanten Konstellationen: Sollte Grossbritannien am 23. Juni den Brexit beschliessen, würde das zu einem dramatischen Absturz der Qualität der britischen Nationalität (derzeit: Rang 11 von 161) führen.  

Ein Brexit würde den britischen Pass abwerten – dramatisch.

Die anwesenden britisch-maltesischen Doppelbürger – das Publikum in Zürich bestand mehrheitlich aus Bankern, privaten Investmentberatern, Juristen und (PR-)Beratern – quittierten diese Erkenntnis mit einem hörbaren Raunen. Auch der «Economist» schrieb am Donnerstag nach der Präsentation über den Brexit-Aspekt des Rankings. Das Echo lässt sich 24 Stunden nach der ersten Präsentation sehen: Nicht nur in der Schweiz, weltweit sorgt der QNI bereits für Schlagzeilen.

Kochenevs Begeisterung für seine fundiert recherchierte Studie übertrug sich auf die Zuhörer: Er führte während 45 Minuten mit Witz und Charme durch die wichtigsten Verfahren und Erkenntnisse des 194 Seiten umfassenden QNI. Bereits vor Publikum schlug Kochenov bisweilen etwas andere Töne als Vorredner Kälin an.

«Im Allgemeinen ist es so, dass die Qualität eines Passes auch etwas über die Qualität der Regierung aussagt», sagte Kochenev – denn «die besten Pässe sind auch schwerer zu bekommen.» Die entsprechenden Regierungen seien transparenter, die Institutionen und Abläufe würden besser funktionieren. Sein Index zeige deutlich, dass es noch immer viele Länder gebe, die «die Rechte ihrer Bürger leider nicht ernst nehmen».

Jus-Professor vs. Anwalt: Differenzen

Kann man sich als Bewohner des goldenen Dreiecks der Nationen der Welt – sowohl Frankreich, die Schweiz als auch Deutschland als Nummer 1 sind in den Top Ten – gemütlich zurücklehnen, will die TagesWoche im Gespräch mit Kochenov wissen. Dieser verneint vehement: «Keine der gemessenen Nationen hat einen Wert von 100 Prozent» – allerdings sei dieser aus verschiedenen Gründen, insbesondere kaum vorhersehbarer wirtschaftlicher Entwicklungen, kaum zu erreichen.

Die Schweiz könne aber ihre Position sicher verbessern, indem sie ihre «vergleichsweise sehr restriktiven Beschränkungen bei der Reisefreiheit» – Kochenov nennt China und Russland als Beispiele für Visa-pflichtige Länder – aufhebe. Mitberücksichtigt seien im Index auch «sämtliche anderen Beschränkungen und Quoten» bei der Migration und Beteiligung am Arbeitsmarkt.

Professor Dimitry Kochenov, Professor für Verfassungs- und Staatsangehörigkeitsrecht an den Universitäten Groningen, NL und Princeton USA (l.), im Gespräch mit «TagesWoche»-Journalist Gabriel Brönnimann.

Professor Dimitry Kochenov, Professor für Verfassungs- und Staatsangehörigkeitsrecht an den Universitäten Groningen, NL und Princeton USA (l.), im Gespräch mit «TagesWoche»-Journalist Gabriel Brönnimann.

Kochenov betont, er sehe den QNI als objektives, neutrales Werkzeug: «Genau das ist es», versichert er. Hat er keine Bedenken darüber, wie sein Werkzeug – er hat es für Henley & Partners erstellt, der Firmenname steht vor seinem Namen auf der Studie – verwendet werden wird? Konkret: Wie von Christian H. Kälin angetönt?

Kochenov zur TagesWoche: «Henley & Partners verfolgen ganz andere Absichten als ich. Sie sind nicht interessiert an der Mehrheit der Menschen.» Und er hält fest:

«Es ist trotzdem wichtig, die Welt zu beschreiben. Wenn Henley & Partners aufgrund des Indexes mit der Vermittlung von Nationalitäten Geld verdient, dann habe ich kein Problem damit. Man sollte den Index deshalb nicht als Werkzeug darstellen, das nur für eine Sache gut ist.»

Auch deshalb habe er das kurze Kapitel von Kälin an den Schluss der Studie genommen: «Ich war vorsichtig beim Verfassen des Buches», so Kochenov.

Wozu kann sein Werkzeug seiner Ansicht nach dienen – etwa für die Länder, deren Nationalität von «mittlerer» oder «tiefer» Qualität ist? Der Forscher: «Es liegt an den jeweiligen Regierungen, den Rang ihrer Länder zu verbessern.» Wenn viel über den Index geschrieben werde, hofft Kochenov, könne mit dem QNI als «shaming tool» womöglich Druck aufgebaut werden, die Situation zu verbessern – und auch die Bevölkerung hätte ein Druckmittel in der Hand.

Fragen zu möglichen (wirtschaftlichen, politischen, historischen) Zusammenhängen der tiefen Werte der einen Länder mit den hohen Werte der anderen, die sein quantitativer Ansatz des Status quo womöglich nicht erfasst, konnte Kochenev aus Zeitgründen nicht beantworten. Das nächste Interview stand an.

Top-Nationalität für 2,5 Millionen Euro

«Citizenship-by-Investment» nennt sich das Geschäftsfeld, in dem die Firma von Christian H. Kälin tätig ist – Staatsbürgerschaft durch Investition. So heisst auch Kälins Kapitel, das Kochenov absichtlich diskret ans Ende der Schrift, kurz vor den Annex, platzierte. Statt aufwendiger Bedingungen wie «langer Aufenthaltsdauer, Sprachtests und anderen Voraussetzungen» würden Länder Ausländern «zunehmend» auch die Option bieten, die Staatsbürgerschaft zu erlangen, wenn sie «direkt in das Land investieren», schreib Kälin.

Er vergleicht verschiedene Länder – in Europa und der Karibik – und kommt zum wenig überraschenden Schluss, dass die drei erwähnten EU-Länder (Österreich, Malta, Zypern) «den höchsten Preis verlangen». Die günstigste EU-Option derzeit: Zypern. Für 2,5 Millionen Euro in Immobilien sei man dabei. Im Pressetext lässt sich Kälin wie folgt zitieren:

«Der QNI ist eine wichtige Ressource für finanziell unabhängige Personen, welche die Vorteile der doppelten Staatsbürgerschaft erwerben möchten, denn er bietet eine Hilfestellung bei der Auswahl der wertvollsten zweiten Nationalität für sie und ihre Familien.» Für wie viel ein Schweizer Pass zu haben ist, das erfährt man nicht.  

Für Henley & Partners ist das – wie Kälin in seiner Rede in Zürich festhielt – nicht politisch. Ein Verständnis von Politik, das für Politisches blind ist, sobald es um Business geht. Anders ist kaum zu erklären, die Verhandlung über den Handel mit und die Bewertung von Einwanderungskriterien und Staatsbürgerschaften als unpolitisch zu bezeichnen. Auch wenn Staaten, die Schweiz inklusive, private Beratungsfirmen engagieren, um gute (also reiche) neue Bürger anzulocken: Die Pässe stellt am Ende – Stand heute – immer noch der Staat aus.

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Wer die Studie selber erkunden will: «Quality of Nationality Index» 

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