Wer Ausschreitungen rechter Gewalttäter relativieren will, versteht nicht, wie ernst die Lage ist

«Ja, aber die Antifa…» Nein, eben nicht! Das Übel ist eindeutig und wir müssen ihm entgegentreten.

Die hässlichen Bilder stammen aus Chemnitz, das Problem besteht auch bei uns. 

«Antifaschisten sind auch Faschisten», sagte ein deutscher FDP-Politiker nach den Ausschreitungen in Chemnitz. Auf diese Denke stosse ich seit Jahren in politischen Diskussionen: Ich empöre mich über aufkeimende Neonazi-Mobs weltweit und es dauert keine Sekunde, bis ein Gegenüber bemerkt: «Extremismus ist nie gut, egal von welcher Seite.»

Diesen Satz gibt es in zig Variationen: Von «Les extrêmes se touchent» über «Ja, aber die Antifa…» bis hin zu Trumps berüchtigtem «You also had some very fine people on both sides», zu dem er sich nach dem Naziaufmarsch in Charlottesville 2017 durchringen konnte.

Was ist der Zweck solcher Sätze? Verdrängung. Man versucht die nationalistische Epidemie zu neutralisieren, indem man ihr ein scheinbar gleich grosses Übel aus einer anderen Richtung gegenüberstellt. Das ist in diesem Kontext aus verschiedenen Gründen dumm. Erstens erinnert es an ein trotziges «Ja, aber Michi hat auch mit Wasser gespritzt». Und zweitens hat Michi nicht gespritzt.

Bürger gegen Menschenfeinde

Es geht nicht um zwei extremistische Seiten. Keine linken Chaoten gegen rechte Schreihälse. Es ist eine organisierte, gewaltbereite, antidemokratische Nazi-Brut, die sich hoffentlich einer viel grösseren Anzahl von Bürgern gegenübersieht, die ihr demokratisches Recht wahrnehmen, sich den Menschenfeinden in den Weg zu stellen. Die Polizei tut es ja nicht mehr. Sie hindert Filmteams am Dokumentieren der braunen Schreihälse. Die Polizei ist besser darin, Hausbesetzer niederzuknüppeln, als Faschos daran zu hindern, Jagd auf Migranten zu machen.

Ich bin ein Antifaschist. Obwohl es für den Faschismus verschiedene Interpretationen gibt, kann man sich auf etwas einigen: Er ist scheisse. Faschismus ist diese Ideologie, die vor noch nicht mal einem Jahrhundert die Welt abgefackelt hat. Sie hat Dutzende Millionen Tote gefordert; in unseren Nachbarländern wurden über sechs Millionen Juden systematisch und bestialisch umgebracht und wir haben zugeschaut. Faschismus ist brandgefährlich und im Keim zu ersticken.

Viele Menschen haben nach dem Motto «Wählet den Anfänger» immer mehr Brandstifter in die Parlamente gewählt.

Da gibt es keine Überempfindlichkeit, kein Übertreiben. Zuallerletzt seitens der Juden. Wer den Holocaust verehrt oder leugnet, den Hitlergruss macht oder auch nur andeutet, den Führer vermisst und Flaggen, Symbole und Parolen vor sich herträgt, die an die Nazi-Zeit erinnern, ist ein Troglodyt. In Gruppen ist er gefährlich. In der Regierung tödlich.

«Wehret den Anfängen», heisst es ja so schön. Nur, dass das eben nicht mehr die Anfänge sind. Viele Menschen scheinen den Satz falsch zu verstehen und haben nach dem Motto «Wählet den Anfänger» immer mehr Brandstifter in die Parlamente gewählt.

Knackpunkt «Querfront»

All die Zeitungen, die jetzt von zwei Seiten sprechen. Von Links gegen Rechts. Oder die jedes Vergehen eines Menschen mit Migrationshintergrund tagelang in Grossbuchstaben in den Vordergrund stellen. Alle Parteien, deren Basis aus braunen Wutbürgern besteht. Aber auch alle, die jetzt relativieren und beschwichtigen. Ihr alle macht euch zu Komplizen dieser Gruppen.

Das rechtsradikale Gedankengut kommt heute als hippe «Identitäre Bewegung» daher. Als Alternative zum Mainstream. Es sitzt in Parlamenten, in den Köpfen von Millionen Europäern und manifestiert sich in Form dieser hitlergrüssenden Zombies auf den Strassen und in den Kommentarspalten.

Das ist nicht der Anfang. Wenn der Faschismus 2.0 ein Feuer wäre, hätte man vor zehn Jahren vielleicht noch etwas gegen den Funkensprung machen können. Inzwischen lodern mittelgrosse Feuer allerorten. Wir können sie nur noch zusammen löschen, wenn sie nicht zum Flächenbrand werden sollen.

Die Toleranz gegenüber rassistischem und paranoidem Wutbürger-Gedankengut ist erschreckend gross.

Der Knackpunkt dabei ist die «Querfront». Denn zu den organisierten Neonazis in der Schweiz und im nahen Ausland, zu den Pnoslern, denjenigen, die die SVP auch nach dem Hundertsten menschenverachtenden Vorstoss noch wählen, zu den Rassisten in den Parlamenten, in führenden Positionen in der Wirtschaft, in Kirchen, bei der Polizei und im Militär kommen die sogenannten «Alternativen» hinzu: Angestachelt von Verschwörungstheorien und der Sehnsucht nach der guten alten Zeit, wählen sie lieber Trump als «Killary», lieber die AfD als die Merkel, besuchen lieber den Ganser-Vortrag, als sich den komplexen Herausforderungen der modernen Gesellschaft zu stellen.

Die Toleranz gegenüber rassistischem und paranoidem Wutbürger-Gedankengut ist erschreckend gross und in Verbindung mit modernen Medien omnipräsent und erdrückend. Auch wenn dieselben Menschen, die diese Zeilen für übertrieben und pauschalisierend halten, dann wieder entsetzt sind über das Ausmass rassistischer und menschenverachtender Zusammenrottungen hier, in Deutschland und weltweit.

Bringt sie zur Raison!

Wir müssen die Rassisten stoppen. Wir müssen rechtsextremes Gedankengut erkennen und dürfen es nicht tolerieren. Nazis muss entgegengetreten werden. Aus der Zivilgesellschaft heraus, aber auch gesetzlich und politisch. Und wer mir jetzt mit Voltaires Meinungsfreiheit kommt («Ich lehne ab, was Sie sagen, aber ich werde bis auf den Tod Ihr Recht verteidigen, es zu sagen.»), dem sei Karl Poppers Toleranz-Paradoxon an den Kopf gepoppt («Uneingeschränkte Toleranz führt mit Notwendigkeit zum Verschwinden der Toleranz.»). Ich bin Antifaschist. Ich hoffe, ihr auch.

Man muss nicht mit Nazis diskutieren. Wenn es in einer Klasse einen Bully gibt, der andere Kinder tyrannisiert, fragt man ihn nicht, was er denn haben müsste, damit er aufhört. Man bringt ihn zur Raison, hält ihn davon ab, weiterzuwüten. Wir müssen aufhören, Bullys zu Klassensprechern zu machen.

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