Tamedia-Roboter ersetzt SDA-Sportredaktion

Der grösste Schweizer Medienkonzern versetzt der einzigen nationalen Nachrichtenagentur einen weiteren schweren Schlag. Mindestens 18 Stellen sind bedroht.

Tamedia gibt der SDA-Sport-Agentur einen Korb. Ein Computerprogramm soll es richten.

Das 125. Jahr ihres Bestehens ist ein schwarzes Jahr für die altehrwürdige Schweizer Depeschenagentur SDA. Abbau von rund 40 von 180 Arbeitsplätzen, ein öffentlichkeitswirksamer, aber praktisch folgenloser Streik, die Ausschüttung von zwei Dritteln der finanziellen Reserven an die Aktionäre – all das und mehr hat die Nachrichtenagentur erschüttert.

Ein Ende der Schicksalsschläge ist nicht in Sicht. Der Zürcher Medienkonzern Tamedia, nach der österreichischen Agentur APA grösster Aktionär der SDA, hat einen weiteren Grossauftrag gekündigt, wie die TagesWoche erfahren hat. Nachdem die Tamedia-Zeitungen in der Romandie schon seit Juli 2018 auf den SDA-Sport-Dienst verzichten, hat der Verlag der SDA-Sport-Agentur für die deutsche Schweiz per Ende Jahr gekündigt.

«Dann kann man den Laden gleich dicht machen»

Bei der SDA sorgt die Nachricht für grosse Konsternation. Jährlich verfasst die 18-köpfige Sport-Abteilung rund 50’000 Meldungen. Der grösste Kunde im Zeitungsgeschäft: Tamedia (u.a. «20 Minuten», «Tages-Anzeiger», «Landbote», «Der Bund», «Berner Zeitung», «Sonntagszeitung» und weitere Titel – sollte der Entscheid der Weko positiv ausfallen, bald auch die «Basler Zeitung»). «Da kann man den Laden gleich dicht machen», sagt ein SDA-Mitarbeiter zur TagesWoche, als er die Nachricht hört.

Der Grossverlag bestätigt die Kündigung des Sport-Dienstes per Ende Jahr. «Wir haben den Vertrag mit SDA-Sport in der Deutschschweiz per 31. Dezember 2018 gekündigt, wie wir es in der Suisse romande per 30. Juni gemacht haben», sagt Tamedia-Sprecher Patrick Matthey.

Computerprogramm soll Journalisten ersetzen

Wie die TagesWoche weiter in Erfahrung bringen konnte, wurden die Sport-Ressortverantwortlichen vor eine unangenehme Wahl gestellt. Entweder sie kündigen der SDA und setzen künftig auf das redaktionsinterne Recherche-Werkzeug «Tadam» (für «Tamedia Data Mining») – und müssen im Gegenzug keine eigenen Journalistinnen und Journalisten entlassen. Oder sie nutzen wie bis anhin die Dienste der SDA, müssen aber rund fünf Vollzeitstellen im Sportressort abbauen.

Tadam? Ein Recherche-Roboter statt Agentur-Journalisten? Tamedia-Sprecher Patrick Matthey bestätigt: «Die Verwendung unseres internen Sourcing-Tools ‹Tadam Sport› hat es ermöglicht, den ATS-Sport-Stream in der Westschweiz seit dem 1. Juli mit überzeugenden Ergebnissen zu ersetzen. Das Sportcenter-Team in Zürich, das mit der Tamedia-Redaktion verbunden ist, nutzt daher ‹Tadam Sport› ab dem 1. Januar 2019 für Sportinhalte.» ATS heisst die SDA in der Romandie.

In Tamedia-Redaktionen klingt es etwas anders. Man sei zwar froh, dass sich die Verantwortlichen dazu entschlossen hätten, keine Kolleginnen und Kollegen zu entlassen. «Aber das Programm kann ja keine Geschichten schreiben. Er ist einfach eine praktische Hilfe, zum Beispiel für Sportresultate oder Medienmitteilungen», so ein Mitarbeiter. Von den Hoffnungen von Mitgliedern der Konzernleitung, das Recherche-Tool könne bald schreibende Journalisten ersetzen, sei es «Lichtjahre entfernt». 

Tadam durchsuche einfach das Web, etwa nach vorgegebenen Stichworten, und sei für gewisse Arbeiten «durchaus praktisch». Unter anderem erstelle es automatisch eine tägliche Übersichts-Liste mit möglichen Sport-Themen.

Online stammten zurzeit «rund die Hälfte» der Sportmeldungen der Tamedia-Produkte in der Deutschschweiz von der SDA, schätzt ein SDA-Mitarbeiter. Er glaubt nicht, dass man dieselbe Leistung Tamedia-intern erbringen könne. Auch dann nicht, «wenn man einen Roboter zum Chefredaktor machen will». Doch für die 18 Journalisten bei SDA-Sport sehe die Zukunft nun düster aus. Und wohl nicht nur für sie: Oft sind redaktionelle Veränderungen im Sportteil nur der Anfang von weiteren Veränderungen. Die einzige Schweizer Nachrichtenagentur ist akuter bedroht denn je – durch ihre eigene Besitzerin.

Die Agentur wusste wohl noch nichts von der Nachricht

Gerne würde man erfahren, was das bei der Agentur auslöst, wenn es – je länger je mehr – ans Lebendige geht. Auf Anfrage teilt COO Jann Jenatsch mit, man äussere sich «zum Schutz der Kunden grundsätzlich nicht» zu diesem Thema.

Matthias Hagemann, Mitglied des Verwaltungsrats, sagt auf Anfrage, keine Kenntnis von der Kündigung zu haben. Gut möglich, dass nur VR-Präsident Ueli Eckstein im Bild war. Der arbeitet hauptberuflich in leitender Funktion bei Tamedia.

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