«Weltwoche»-Bann an der Uni: Importieren Basels Studenten eine «amerikanische Unsitte»?

Der angeregte «Weltwoche»-Boykott des Basler Studierendenrats war kein guter Schachzug. Er blähte rechten «Freidenkern» die Segel und provozierte Kritik an der Meinungsvielfalt der Schweizer Studierenden. Eine Umfrage an Deutschschweizer Unis zeigt: Eine Zensur von unten findet nicht statt. 

Kämpft beim versuchten Boykott eine Gruppe von «Schneeflocken» gegen eine polemische Zeitung?

Dieser Schuss ging nach hinten los. Studierende der Universität Basel wollen eine Zeitung verbieten, weil ihnen deren Meinung nicht passt. Das ist zusammengefasst das, was vom versuchten «Weltwoche»-Boykott eines Teils des Basler Studierendenrats hängenbleibt. Das, und eine Reihe empörter Stimmen aus dem liberalen bis konservativen Lager, die sich nun als Retter der Meinungsfreiheit profilieren.

Allen voran Roger Köppel. Der SVP-Nationalrat und «Weltwoche»-Chefredaktor wusste die Causa natürlich sofort für PR-Zwecke zu nutzen: «Freunde, hört mit der Zensur auf, habe bessere Idee» twitterte er. «Grosse öffentliche Blattkritik an der Uni Basel. Gebts uns! Die #Weltwoche stellt sich ihren Kritikern. Es lebe die Debatte. Ich bin dabei und lade zum Apero ein!»

Die «Weltwoche», kein Freund linker Wissenschaftler

Dass die «Weltwoche» selbst mehrfach die Schweizer Lehre attackiert, Abschusslisten von Dozierenden publiziert und Professorinnen für Inhalte, politische Haltungen und ihr Aussehen kritisiert hat: geschenkt. Die News über den versuchten «Weltwoche»-Boykott sind Wasser auf die Mühlen derer, die an einem einfachen Weltbild arbeiten.

Dieses Weltbild sieht so aus: Hier die freiheitliche Allianz für Meinungspluralismus und das-wird-man-ja-noch-sagen-dürfen. Dort die linke Studierendenschaft, die vor lauter Postmoderne lieber gar nichts mehr sagt, als etwas potenziell Diskriminierendes zu sagen. Spötter nennen sie die Generation Schneeflocke.

Und diese Generation hat in den Augen ihrer Kritiker ein neues Steckenpferd: Triggerwarnungen. In den USA verdichtet sich die Debatte über die Grenzen des Sagbaren seit einigen Jahren auf diesen Begriff aus der Sozialpsychologie. Hintergrund ist, dass durch bestimmte Auslösereize (Trigger) unbewusste Traumata aktiviert werden. Das können sexuelle Übergriffe in der Kindheit sein, Rassismus oder andere Dikriminierungserfahrungen.

Die Studierenden einiger Universtitäten fordern seit einigen Jahren, vor bestimmten Inhalten durch Triggerwarnungen geschützt zu werden. Seither tobt ein Shitstorm durch die Hörsäle der Vereinigten Staaten.

«Weltwoche»-Boykott: Eine Art Triggerwarnung?

Der Basler Studierendenrat begründete seinen Vorstoss mit ähnlichen Motiven, auch wenn er sich in diesem Fall auf die Presse-Auslagen im Foyer und nicht wie in den USA auf Lehrinhalte fokussierte: Die «Weltwoche» solle wegen «rassistischer, islamophober und rechtspopulistischer Inhalte» nicht mehr aufgelegt werden, heisst es im Antrag.

Dieser Antrag macht die Zeitung damit quasi zum Trigger, wie sich in den sozialen Netzwerken und anhand des grellen Medienechos nachvollziehen lässt. Ein Eigentor für die Studierenden. Und ein marketingstrategischer Volltreffer für die «Weltwoche», die sich gerne als Sprachrohr für Querdenker sieht.

Erlebt die Schweiz hier gerade den Präzedenzfall einer Zensur von unten an Schweizer Universitäten? Oder anders gefragt: Wie steht es eigentlich um die Meinungspluralität und Belastbarkeit der Studentinnen und Studenten?

Werden mit dem Vorstoss des Basler Studierendenrates tatsächlich «amerikanische Unsitten» importiert, wie Basels FDP-Präsident Luca Urgese auf Twitter befürchtet, werden also bald auch in der Schweiz Triggerwarnungen vor kontroversen Inhalten gefordert?

Die TagesWoche hat sich an mehreren Schweizer Universitäten umgehört. Und so viel vorneweg: Weder in Zürich noch Bern, Luzern oder Basel hat es bislang Forderungen nach sogenannten Triggerwarnungen gegeben. Von einer «Amerikanisierung» der Debattenkultur kann zumindest innerhalb der Hörsäle keine Rede sein.

Unsicherheit unter Schweizer Dozierenden

Und trotzdem ist das Thema präsent. Die Dozentinnen und Dekane der geisteswissenschaftlichen Fakultäten sagen, durch die Debatte in den USA eine gewisse Unsicherheit zu spüren. Der Grundtenor lautet: Die Diskussion müsse ernst genommen werden, gleichzeitig dürfe aus Rücksicht auf Befindlichkeiten von Einzelnen keine Zensur am Lehrplan stattfinden.

Ralf Simon, Literaturprofessor der Universität Basel, hat in der Praxis auch schon auf kontroverse Inhalten hingewiesen und machte eine interessante Beobachtung: «Ich habe von mir aus einmal gewarnt, als ich ankündigte, in der nächsten Vorlesung über Bataille zu sprechen. Ich habe für diese Vorlesung keine Anwesenheitskontrollen und keinen Prüfungsstoff verbindlich gemacht. Am Ende hatte ich den Eindruck, dass auf meine Warnung hin sogar noch mehr Publikum im Raum war.»

Entscheidend sei die Art und Weise, wie schwierige Texte behandelt würden, sagt Daniel Müller Nielaba, Literaturprofessor an der Universität Zürich: «Ich würde 19-jährige Bachelor-Studierende niemals unvorbereitet mit drastischen Passagen wie etwa der Vergewaltigung in der Philomela-Episode aus Ovids ‹Metamorphosen› konfrontieren. Solche Texte werden vorab besprochen und kontextualisiert.»

«Ich denke, der Auftrag einer Universität besteht nicht darin, selbstverschuldete Unmündigkeit zu fördern.»

Christoph Hoffmann, Professor für Wissenschaftsforschung

Einen Verzicht auf diese Texte aufgrund geforderter Triggerwarnungen hielte wiederum Christoph Hoffmann, Professor für Wissenschaftsforschung an der Universität Luzern, für einen groben Fehler.

«Gehen wir davon aus, es gäbe solche Warnungen, so implizierten sie doch, dass die Texte nicht nur mit besonderer Vorsicht gelesen würden, sondern letztlich von entsprechend angesprochenen Studierenden gar nicht gelesen würden. Ich denke, der Auftrag einer Universität besteht nicht darin, selbstverschuldete Unmündigkeit zu fördern.»

Dem pflichtet Ina Habermann bei. Die Professorin für Englische Literatur an der Universität Basel verfolgt die Debatte über Triggerwarnungen mit Interesse, sie sagt: «Soweit es einen Konsens unter den Lehrenden in der Schweiz und Deutschland gibt, halten jedenfalls diejenigen Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich gesprochen habe, dieses Phänomen für ein Beispiel US-amerikanischer, falsch verstandener und letztlich heuchlerischer Political Correctness, die keine Probleme löst, sondern die Illusion erzeugt, die Menschen könnten sich in ihrer ‹comfort zone› gemütlich einrichten.»

Intellektuelle Kontroverse braucht sichere Räume

Den intellektuellen Widerstand aushalten hiesse allerdings niemals, sich persönlichem Stress aussetzen zu müssen. «Die Freiheit der Lehre ist auch die Verantwortung der Lehre», sagt Müller Nielaba aus Zürich und in dieser Hinsicht habe sich an den Schweizer Universitäten einiges getan. Es wurden Diversity-Fachstellen eingerichtet, in Mitteilungen und E-Mails wird gegendert, die Universität Bern erliess per 1. Januar 2018 ihre Richtlinien zur Verwendung des Namens bei Transmenschen.

Es mag weitere Gründe geben, warum die Debatte in den USA heissläuft, in Europa aber vergleichsweise inexistent bleibt. Doch durch diese Massnahmen werden Benachteiligungen an Schweizer Universitäten möglichst proaktiv abgefedert, die Universität bietet sichere Räume für die intellektuelle Kontroverse.

Die Debatte über Triggerwarnungen lasse sich nur bedingt aus den USA auf Europa übertragen, sagt Philipp Schweighauser, Professor für Amerikanische Literaturwissenschaft, da in den USA der historische Kontext der Sklaverei einen entscheidenden Part habe. Schweighauser verfolgt die Debatte zur Zeit aus nächster Nähe, er forscht im Rahmen eines Sabbaticals seit Monaten an der Universität Harvard.

«Der Kampf um Triggerwarnungen ist auch ein Kampf um den Kanon.»

Philipp Schweighauser, Professor für Amerikanische Literaturwissenschaft

«Die Linke ist hier total gespalten», sagt er über die USA, «es gibt eine grosse Spannung zwischen einer teils überzogenen Identitätspolitik und einem moderaten, universalistischen Liberalismus. Man will die Anliegen der Minderheiten schützen. Und gleichzeitig frei denken, frei reden. Denn das Recht auf die freie Rede ist für die Amerikaner eines der höchsten Güter. Es ist schliesslich im First Amendment festgeschrieben.»

In Europa werde die Debatte viel zu eng wahrgenommen und nur auf das Thema Zensur reduziert, sagt Schweighauser. «Es geht darum, wie wir über Texte und die Geschichte reden, welche Wörter wir benutzen und ganz wichtig: Wer denn da für und über wen redet.» Der Literaturkanon sei lange dominiert gewesen von weissen Männern. Das stosse in den USA mit ihrer sehr durchmischten Gesellschaft schon sehr viel länger auf Kritik als in Europa. «Der Kampf um Triggerwarnungen ist auch ein Kampf um den Kanon», sagt Schweighauser.

Triggerwarnungen als sich selbst erfüllende Prophezeiungen

Für den Basler «Weltwoche»-Fall ist eine Studie des Psychologen Benjamin Bellet aufschlussreich. Bellet, der wie Schweighauser an der Universität Harvard forscht, hat kürzlich widersprüchliche Wirkungen der Triggerwarnungen ans Licht gebracht:

Die Forscher liessen Probanden Passagen aus Werken von Fjodor Dostojewski und anderen Autoren lesen, in denen teilweise brutale Schilderungen auftauchen. Lasen die Teilnehmer zuvor eine Warnung, dass sie nun «verstörende Inhalte, die Angstzustände auslösen könnten», sehen würden, wirkte das bei manchen wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Die Warnung verstärkte also den Effekt.

Das angeregte Verbot der «Weltwoche» in den Räumlichkeiten der Universität Basel zeitigte ein ähnliches Resultat. Die Medien berichteten und rückten die Zeitung ins Schweinwerferlicht. Dem, was aus Sicht des Studierendenrats weg sollte, wurde aus verschiedenen Lagern besonders grosses Interesse entgegengebracht.

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