Der Übergang kommt plötzlich. Vom Grau der Vororte Montpelliers zum satten Grün der Camargue. Vom stockenden Verkehr zu leergefegten Strassen. Zwischen all dem Grün verweist ab und an ein handgeschriebenes Schild auf einen Verkaufsstand, wo es Melonen, Erdbeeren und Aprikosen gibt. Die süssen Früchte des Rhône-Deltas. Manchmal sieht man das Weiss der Camargue-Pferde zwischen den Blättern durchschimmern, einige wagen sich so nah an die Strasse, als möchten sie die Gäste persönlich begrüssen.
Dann endet jäh die Strasse. Vor uns liegt ein Kanal, auf dem sich Boote kreuzen. Ein rostiges Schild verkündet, dass die Gratis-Fähre alle 30 Minuten übersetzt. Für einen Moment lauschen wir einigen der 400 Vogelarten dieses Naturparks und fühlen uns unendlich weit entfernt von der Zivilisation – bis der Motor der Fähre aufheult.
Sicher auf der anderen Seite angelangt, lullt uns fast sofort wieder das Grün ein. Bis die Blätterwand den Blick auf einen Étang freigibt. Und da stehen sie, reglos und perfekt wie ihre aus Plastik gefertigten Abbilder, die man aus herausgeputzten Vorgärten kennt: die Rosaflamingos. 120 bis 140 Zentimeter gross sind sie und doch nur bis zu gut zweieinhalb Kilogramm schwer.
Man kann sie gar nicht verpassen auf der Fahrt durch diesen Landstrich. Zwischen 10’000 und 20’000 Paare sollen jährlich in der Camargue brüten. Sie sehen fast schon kitschig aus, wie sie da im rosa Federkleid auf der Suche nach Futter durchs seichte Wasser staksen, den Kopf minutenlang unter Wasser.
Ein paar hundert Meter weiter zeichnet sich ein dunkelblauer Streifen am Horizont ab. Das Mittelmeer. Wir erreichen den Küstenort Saintes-Maries-de-la-Mer. Er hat nur 2500 Einwohner, doch zur Zeit der Wallfahrten im Mai und im Oktober sowie im Sommer bietet er vielen Tausend mehr ein Dach über dem Kopf. Es duftet nach Meer, Salz, Sonnencreme und immer wieder nach Fisch.
Seltene Ruhe
Morgens kommen die heimischen Fischer zurück in den Hafen, bieten ihren Fang an und versorgen die zahlreichen Restaurants mit Meeresgetier. Zu diesem wird gerne der rote Reis aus der Camargue gereicht, der weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt ist. Zwischen den Fischrestaurants finden sich allerdings auch Kebab-Stände und Burger-Buden, um den Hunger der Touristen zu stillen.
Und doch – es gibt kaum Orte an der südfranzösischen Küste, über denen dieselbe Art von Ruhe schwebt wie über Saintes-Maries-de-la-Mer. Vielleicht liegt es daran, dass man nur durch all das dichte Grün hierherfindet. Vielleicht auch daran, dass sich dieser Ort nicht einreiht in eine lange Schnur von Ferienörtchen, sondern in einer Sackgasse ohne Durchgangsverkehr liegt.
Im Frühsommer ist noch nicht viel los hier. (Ausser wenn Ende Mai die spanischstämmigen Roma zur schwarzen Sara pilgern, ihrer Schutzheiligen.) Die kleinen Strände hat man für sich, sodass man rasch wegdöst beim Gesang der Möwen und sich in seinen Traumländern wiederfindet, die gar nicht so anders aussehen als die Realität in diesem Städtchen zwischen Étangs, Naturschutzgebiet und Meer.
Essen: Im «Le jardin des délices» gibt es frischen Fisch, mit Liebe zubereitet. Ein Glückstreffer.
Staunen: Der Étang de Vaccarès ist der grösste See im Naturpark und zeigt die vielfältige Landschaft der Camargue auf einen Blick.
Bewegen: Durch die Camargue bewegt man sich am besten hoch zu Ross, auf dem Velosattel oder zu Fuss. Mit dem Auto ist man zu schnell unterwegs, um all die kleinen Wunder wahrzunehmen. Angebote findet man über die Website des Parc naturel régional.