Das Fernsehen ist noch älter als seine Zielgruppe – nämlich tot

Fernsehen gibt es nur noch, weil Firmen, die die Zeichen der Zeit nicht verstehen, Geld für Werbung ausgeben. Hinschauen tut längst niemand mehr.

Fernsehen bis Programmschluss. Den Unter-40-Jährigen sagt das wahrscheinlich nichts mehr.

Der Witz ist schon fast älter als die Zuschauer des SRF, und auch wenn er gar keiner ist, erhält er in dieser Version noch Nuancen: Laut Erhebungen ist der Durchschnittszuschauer des «Guetnachtgschichtli» im Schweizer Fernsehen vierzig Jahre alt. Lol.

Jetzt muss man sich vorstellen, welche Klientel jeweils Sendungen wie «Aeschbacher», «Bi de Lüt» etc. schaut oder schaute. To be fair: Nicht nur das Publikum des SRF wird immer älter, sondern die Gesellschaft an sich. Da machen sich alle Sorgen wegen ein paar Flüchtlingen oder der angeblichen Islamisierung und vergessen die viel alarmierendere Vergreisung der Gesellschaft.

Kleiner Witz: Greis ist geil. Alte Leute können ganz schön cool sein. – Wenn sie mich nicht gerade in öffentlichen Verkehrsmitteln sittenwächterisch zurechtweisen oder sich im Swisscom-Shop vordrängen, weil sie eben nachher dringend weitermüssen – der Ruhestand geniesst sich schliesslich nicht von selbst.

Schweiss, Blut und Peinlichkeiten

Auf jeden Fall sind die Zuschauer des SRF uralt. Vielleicht so alt, dass sie gar nicht bewusst TV schauen, sondern einfach ins Leere, und zufällig läuft da gerade «Glanz und Gloria», was bei der statistischen Erhebung dann Punkte fürs Schweizer Fernsehen gibt.

Vielleicht ist es das: Niemand schaut mehr Fernsehen und deshalb kann man auch ungestört diesen hirnschädigenden Schrott über den Screen flimmern lassen. Und da spreche ich jetzt eher von all diesen deutschen Privatsendern mit ihren tragischen Reality-Figuren als vom SRF.

Die Scripted-Reality-Shows des SRF stehen meist über dem Niveau ihrer Vorbilder – und haben tiefere Einschaltquoten.

So könnte es wirklich sein: Niemand schaut sich den Schund an, aber da auch grosse Firmen noch nicht in der Gegenwart angekommen sind, bezahlen sie weiterhin hohe Beträge für TV-Werbung. Oder aber die Konzerne geben ihr Geld für ein paar Influencer aus, die dann minderjährigen Mädchen auf ihren Instagram-Profilen erklären, wie man mit Produkt xy die perfekte Bikinifigur erreicht.

Dazwischen gibt es wenig bis nichts. Auch punkto Programminhalte. Auf SRF gibt es gut produzierte Nachrichten und Infotainment-Formate und dann irgendwelche Scripted-Reality-Sendungen. Diese stehen meist über dem Niveau ihrer deutschen Vorbilder – und haben somit auch tiefere Einschaltquoten. Denn wer solche Sendungen schaut, der will sehen, wie sich irgendein Ex-Promi oder Riesenproll zum Clown macht. Der will Schweiss und Blut und Peinlichkeiten. Das Problem ist, dass die momentane Zielgruppe des Schweizer Fernsehens wohl einen Herzinfarkt erleiden würde, würde sie auch nur eine Sekunde «Love Island» schauen.

Influencer, die Sendungen moderieren

Somit entsteht ein Vakuum. Für einen grossen Teil der Bevölkerung gibt es keine Formate, Sendungen oder Sender, die ihre Interessen bedienen oder ihren Horizont erweitern. Fast niemand aus meinem Freundes- und Kollegenkreis konsumiert regelmässig oder gar begeistert Inhalte des SRF oder der grossen Privatsender. Für jüngere Menschen, die sich für Musik, Kunst, Mode und Literatur im weitesten Sinne interessieren, gibt es keinen Hafen.

Dagegen müsste man etwas tun. Man versucht es auch. Indem man zum Beispiel junge Exponenten von Social-Media-Plattformen engagiert. Das funktioniert nicht. Erstens spricht es gerade die erwähnte Zielgruppe nicht an und zweitens funktionieren junge virale Social-Media-Stars auf ihren eigenen Kanälen – aber nicht als Moderatoren oder Macher eigener Sendungen auf SRF. Die Gefahr, dass all diese Influencer und Instagram-Comedians ihre Follower-Gemeinde verringern, wenn sie Formate fürs SRF prägen, ist grösser als die Wahrscheinlichkeit, dass das SRF damit seine junge Zielgruppe vergrössert.

Es ist, als wäre man mit einem alten VW-Bus unterwegs, der immer langsamer fährt und viele Schadstoffe generiert. Und man dann all die jungen Tesla-Fahrer sieht und sich sagt: «Komm, die stellen wir als Fahrer für unseren alten Bus ein.» Das bringt nichts. Das SRF muss seinen VW-Bus auseinandernehmen, die unbrauchbaren Teile ausrangieren und aus den wiederverwertbaren viele kleine Teslas bauen. Und diese Teslas dann fahren lassen. Das braucht Mut. Aber es ist dringend nötig.

Der VW-Bus droht trotz Modernisierungsversuchen abzuserbeln. Man muss es einsehen. Das Fernsehen ist noch älter als seine Zielgruppe. Nämlich tot. All diese Reality-Formate sind Zombies, die zwar ewig herumtorkeln könnten, der Menschheit aber eher schaden. Die wirklichen Nachkommen des Fernsehens sind Podcasts, Online-Videos und -Formate, momentan am stärksten auf Instagram, morgen wieder woanders.

Statt sich von Sponsoren oder Wutbürgern leiten zu lassen, müsste man kompromisslos mutige Inhalte produzieren.

Das Fernsehen muss sich verflüssigen. Die Budgets müssen für einzelne Gruppen Kreativer ausgegeben werden, die auf ihren Kanälen ihre Inhalte für ihren Freundes- und Follower-Kreis produzieren können. Natürlich produzieren auch die Online-Plattformen und ihre Exponenten viel Trash. Aber mit Budget könnte man entweder mehr sehr hochstehenden Trash produzieren oder eben Ideen-sprudelnden jungen Macherinnen ein Team zur Seite stellen, das ihrem kreativen Chaos eine Struktur geben kann.

Es ist wie mit der Politik, der Wirtschaft und der Medienbranche an sich: Statt sich von Sponsoren oder Wutbürgern leiten zu lassen, müsste man kompromisslos mutige Inhalte produzieren. Die würden langfristig viele Menschen inspirieren und könnten neben guter Unterhaltung sogar eine Veränderung der Gesellschaft hin zum Besseren bewirken.

Nach dieser Polemik am Schluss noch ein Hinweis, falls jemand diese Kolumne als No-Billag-Zombie missbrauchen will. Ich spreche nicht davon, dass das SRF sparen soll. Im Gegenteil, es soll mehr investieren – einfach in geilere Inhalte.

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