Diese Basler Ärztin kämpft gegen Killerkeime

Das Bundesamt für Gesundheit startet eine Offensive, um die Ausbreitung von antibiotikaresistenten Keimen zu verhindern. Für das Unispital Basel tritt die Medizinerin Sarah Tschudin Sutter an.

«Viele junge, gesunde Leute bringen multiresistente Keime beispielsweise nach einem Urlaub aus dem Ausland mit» – Sarah Tschudin Sutter.

Seit einiger Zeit leiden die Spitäler unter Infektionen, gegen die keine Antibiotika mehr nützen. Das Universitätsspital Basel hat mit Unterstützung der Moritz Straus-Stiftung den Kampf gegen solche resistenten Keime aufgenommen. Es hat eine neue Assistenzprofessur für Infektionsepidemiologie geschaffen. Ernannt wurde die Basler Medizinerin Sarah Tschudin Sutter. Wir haben mit ihr über die gefährlichen Keime gesprochen.

Sarah Tschudin Sutter, jedesmal, wenn jemand von der Familie Antibiotika nehmen muss, habe ich ein ungutes Gefühl: Was, wenn sie nicht wirken. Zu Recht?

Nein. Viele der häufig eingesetzten Antibiotika wirken noch immer gegen die meisten Infektionen. Aber wir haben ein Problem: Es gibt je länger je mehr resistente Keime, gegen die herkömmliche Antibiotika nicht mehr wirken. Dann müssen wir auf breitere Antibiotika oder sogenannte Reserve-Antibiotika umsteigen. Und je öfter wir diese einsetzen, desto schneller entwickeln sich auch Keime, die gegen diese Antibiotika resistent sind.

Survival of the fittest.

Ja, die resistenten Keime haben einen Vorteil gegenüber den anderen und breiten sich aus.

Also ist eine gewisse Panik angebracht?

Nein, Panik nicht, aber Achtsamkeit. Schwierig zu behandelnde Infektionen mit resistenten Keimen spielen vorerst vor allem bei schwerkranken Patienten eine Rolle, die entsprechend anfälliger sind. Zur Zeit sehen wir am Universitätsspital Basel solche Infektionen vor allem bei Patienten, die in einem ausländischen Spital behandelt wurden und repatriiert werden aus einem Land, wo sich die resistenten Keime schneller ausbreiten.

In China?

So weit müssen Sie nicht gehen, auch italienische oder griechische Spitäler haben einen höheren Anteil an Antibiotika-resistenten Bakterien. Diese kolonisieren dann auch Schweizerinnen und Schweizer.

Was heisst kolonisieren?

Das heisst, dass uns diese Bakterien besiedeln, ohne eine Infektion auszulösen – zum Beispiel unsere Haut oder die Nase.

Prof. Dr. Sarah Tschudin Sutter ist Assistenzprofessorin sowie leitende Ärztin und Forschungsgruppenleiterin an der Klinik für Infektiologie & Spitalhygiene und am Departement Klinische Forschung des Universitätsspitals Basel. Sie erforscht die Übertragungswege antibiotikaresistenter Bakterien und die Prävention gegen im Spital erworbene Infektionen.

Wird man dann krank?

Häufig bemerkt man gar nichts davon. Viele junge, gesunde Leute bringen solche multiresistenten Keime beispielsweise nach einem Urlaub, auch ohne Spitalaufenthalt, aus dem Ausland mit. Und die verlieren sich oft von alleine wieder.

Wann wird es gefährlich?

Wenn der Träger krank ist und ein schwaches Immunsystem hat. Oder wenn im Rahmen medizinischer Interventionen wie Operationen und Kathetereinlagen eine Verletzung der Haut-Schleimhautbarriere erfolgt. Zum Beispiel wenn ein Patient bei einem Aufenthalt in einem griechischen Spital kolonisiert und nach Basel ausgeflogen wird. Hier ist der Patient vielleicht im Rahmen intensivmedizinischer Massnahmen sediert und wird künstlich beatmet. Dann kann es sein, dass sich die Bakterien entsprechend ausbreiten und zum Beispiel eine entsprechende Infektion der Atemwege verursachen.

Warum wandern die Bakterien in die Lunge?

Patienten, die liegen und künstlich beatmet werden, haben ein erhöhtes Risiko, eine Lungenentzündung zu entwickeln. Begünstigend wirkt dabei der Beatmungsschlauch sowie die lokal und allenfalls systemisch geschwächte Immunlage des Patienten.

Was machen Sie, wenn ein Patient eine Infektion der Atemwege hat wegen eines resistenten Bakteriums?

Wir veranlassen gezielte Resistenztestungen und eruieren dadurch, welche Antibiotika noch wirksam sein können. Diese setzen wir dann zur Behandlung ein. Je nachdem, wie ausgeprägt das Resistenzmuster ist, müssen wir auf sogenannte Reserve-Antibiotika zurückgreifen.

Mit Erfolg?

Oftmals kann noch ein Behandlungserfolg erzielt werden. Im Extremfall, wenn kein entsprechend wirksames Antibiotikum mehr vorhanden ist, kann der Patient an einer entsprechenden Infektion sterben.

Wie konnten sich diese antibiotikaresistenten Keime in der Welt so schnell entwickeln?

Antibiotikaresistente Keime gibt es seit Jahrtausenden. Beispielsweise konnten in über 30’000 Jahre alten Umweltbakterien, die aus dem Dauerfrostboden in Alaska isoliert wurden, Antibiotikaresistenzgene nachgewiesen werden. Antibiotikaresistenz hat sich also nicht erst in den vergangenen Jahren entwickelt. Durch den rasch zunehmenden Antibiotikaeinsatz nach der Industrialisierung der Produktion im 20. Jahrhundert ist es aber zu einer raschen Selektion und entsprechenden Verbreitung von antibiotikaresistenten Bakterien gekommen.

Wie das?

Antibiotika sind ja etwas Natürliches. Es sind die Bakterien und andere Mikroorganismen selbst, die Antibiotika entwickeln, um sich in der Umwelt gegenüber anderen Mikroorganismen zu behaupten. Entsprechend entwickeln sie auch Resistenzmechanismen, um in diesem kompetitiven Umfeld zu überleben. Das Problem ist: Je mehr Antibiotika man verwendet, desto schneller werden entsprechende Resistenzmechanismen selektioniert und weiter verbreitet.

Und die Menschen haben sie viel zu oft verwendet.

Genau. Nebst dem oftmals zu häufigen Einsatz in der Humanmedizin werden Antibiotika auch in sehr grossen Mengen in der Veterinärmedizin sowie in der Tier- und Lebensmittelindustrie eingesetzt. In der Fleischindustrie werden den Tieren in gewissen Ländern flächendeckend Antibiotika verfuttert, damit sie nicht krank werden.

«Unser Geflügelfleisch ist in bis zu 90 Prozent aller Fälle mit antibiotikaresistenten Bakterien kolonisiert.»

Die Schweiz hat allerdings eine gute Tierhaltung. Ist das Problem hier also klein?

Nein. Auch die Schweiz hat Handlungsbedarf, was die Tierhaltung in der Nahrungsmittelindustrie betrifft. Unser Geflügelfleisch ist in bis zu 90 Prozent aller Fälle von antibiotikaresistenten Bakterien kolonisiert.

Auch Bio-Hühner?

Antibiotikaresistente Bakterien finden sich auch auf Bio-Lebensmitteln, was auf die weitgehende Verbreitung von antibiotikaresistenten Bakterien in der Umwelt zurückzuführen ist.

Kann man denn von einem Poulet mit antibiotikaresistenten Keimen krank werden?

Ja, das kann man. Zudem trägt man möglicherweise zur weiteren Verbreitung antibiotikaresistenter Bakterien bei.

Essen Sie noch Poulet?

Ja, ich esse Poulet. Durch das gute Durchkochen von Fleisch werden Bakterien abgetötet. Wichtig ist es hier aber auch, die entsprechenden Kochuntensilien nachher gut abzuwaschen.

Apropos abwaschen: Wie steht es denn um antibakterielle Putzmittel? Sind die schädlich?

Nein, diese Putzmittel enthalten nicht Antibiotika, sondern Desinfektionsmittel, welche die Keime abtöten. Diese sind zu toxisch, um Menschen direkt verabreicht werden zu können. Aber es ist schon möglich, dass zu grosser Einsatz von Desinfektionsmitteln auch dazu führt, dass die Bakterien entsprechende Resistenzen entwickeln. Das weiss man noch nicht genau.

Forscher kritisieren, dass auch in der Humanmedizin zu oft Antibiotika eingesetzt werden. Ein Indiz dafür ist, dass resistente Keime in Schweizer Altersheimen heute viermal häufiger vorkommen als noch vor zehn Jahren.

Ja, auch in der Humanmedizin werden Antibiotika oftmals unnötigerweise eingesetzt. In Altersheimen ist der sachgemässe Antibiotika-Einsatz eine besondere Herausforderung. Viele alte Menschen haben verschiedene Krankheiten und brauchen effektiv häufiger Antibiotika. Aber klar, die Ärzte müssen auch besser darauf achten: Braucht es nun wirklich Antibiotika oder nicht? Etwa bei möglichen Harnwegs- und Atemwegsinfektionen ist der Einsatz von Antibiotika vorsichtig abzuwägen.

«Viele Patienten wollen bei jedem Schnupfen ein Antibiotikum. Da ist auch noch Aufklärungsbedarf.»

Bei Blasenentzündung brauchts vielleicht gar keine Antibiotika?

Das ist eine schwierige Frage. Eine kürzlich publizierte Schweizer Studie konnte nachweisen, dass eine rein symptomatische Behandlung mit Schmerzmitteln einer antibiotischen Behandlung unterlegen ist, sodass gegen den Einsatz von Antibiotika – sollte wirklich eine Blasenentzündung vorliegen – nichts einzuwenden ist. Wichtig ist hierbei die sorgfältige Untersuchung und Indikationsstellung. Viele Patienten wollen aber bei jedem Schnupfen ein Antibiotikum, da ist auch noch Aufklärungsbedarf.

Sie haben eine neue Händereinigungsmethode entwickelt, die viele Schweizer Spitäler eingeführt haben. Wie muss ich mir das genau vorstellen?

Bislang desinfizieren sich Ärztinnen und Ärzte in den Spitälern die Hände in sechs relativ komplizierten Schritten, die von der WHO vorgeschlagen werden, um eine optimale Benetzung der gesamten Handflächen zu erzielen. Jetzt haben wir in einer Studie herausgefunden, dass drei Schritte ausreichen. Die neue Methode ist einfacher und ebenso effektiv.

Haben die Ärzte jetzt sauberere Hände als vorher?

Möglicherweise. In einer Folgestudie konnten wir nachweisen, dass die Compliance mit den Händehygiene-Indikationen auf Abteilungen im Spital, welche die Drei-Schritte-Technik anwenden, grösser ist als auf Abteilungen, welche die konventionelle Sechs-Schritte-Technik anwenden. Daraufhin haben wir am Universitätsspital Basel die Drei-Schritte-Technik eingeführt.

Compliance heisst: Wie pflichtbewusst die Ärzte ihre Hände desinfizieren, bevor sie eine Patientin untersuchen?

Ja, da muss man dranbleiben und die Ärzte und alle Spitalmitarbeiter mit Patientenkontakt immer wieder daran erinnern, wie wichtig es ist, dass sie sich wirklich die Hände desinfizieren.

Sind Ärztinnen und Ärzte in Basel besonders nachlässig? Bei einem schweizweiten Vergleich schnitt das Unispital dieses Jahr am schlechtesten ab, weil hier Patientinnen und Patienten im Spital am meisten Infektionen kriegen.

Mir ist nicht klar, welche Daten Sie genau ansprechen. Grundsätzlich sind an Universitätsspitälern und grösseren Spitälern Infektionsraten stets höher. Daraus kann nicht direkt auf die Qualität der Versorgung und die Compliance des Personals geschlossen werden. Diese Spitäler behandeln die komplexesten Patienten – oftmals auch in Notfallsituationen, die das grösste Infektionsrisiko aufweisen.

Warum ist die Gefahr hier grösser?

Eine Patientin, die beispielsweise einen schweren Unfall mit multiplen Verletzungen und vielen offenen Stellen hatte, läuft natürlich grössere Gefahr, dass sich entsprechende Infektionen entwickeln als ein Patient nach einem geplanten Routine-Eingriff. In Privatspitälern werden vorwiegend Letztere behandelt.

«Jetzt, wo sich die Problematik mit antibiotikaresistenten Bakterien verschärft, lohnt es sich wieder zu investieren.»

Die Pharmaindustrie hat lange Zeit wenig Geld in Antibiotikaforschung investiert, weil es sich nicht lohnt. Ist das immer noch ein Problem?

Jetzt, wo sich die Problematik mit den antibiotikaresistenten Bakterien verschärft, lohnt es sich wieder zu investieren. Die Roche ist beispielsweise an der Entwicklung neuer Antibiotika. Und auch die Universitäten machen Grundlagenforschung.

Hand aufs Herz: Wie gross ist die Gefahr, dass Mütter in ein paar Jahren im Wochenbett an Infektionen mit antibiotikaresistenten Bakterien sterben oder junge Leute an Lungenentzündungen?

Im Moment ist die Gefahr gering. Aber die Entwicklung geht in diese Richtung. Deshalb ist es so wichtig, dass das Bundesamt für Gesundheit eine Offensive dagegen gestartet hat. Experten aus den Bereichen Mensch, Tier, Landwirtschaft und Umwelt arbeiten daran, dass sich die resistenten Keime nicht weiter ausbreiten.

Nützt das etwas, solange es Länder gibt, in denen man rezeptfrei Antibiotika kaufen kann?

Natürlich braucht es globale Strategien. Aber es ist wichtig, dass die Schweiz vorne mit dabei ist.

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