Die Basler Polizei hat den Dialog mit dem linksalternativen Milieu abgebrochen. Gegen Teilnehmer unbewilligter Kundgebungen gehen Polizei und Staatsanwaltschaft vehement vor, Verhaftungen und Hausdurchsuchungen häufen sich, DNA-Entnahmen sind bewährte Praxis. Was steckt hinter der Repressionswelle?


Innert einer Stunde war das Räumkommando der Polizei vor Ort, als Aktivisten im letzten Dezember eine Liegenschaft an der Gärtnerstrasse besetzten. Das Haus im Stadtteil Klybeck steht leer und bis zu einem allfälligen Abriss wollte eine Gruppe junger Menschen den Wohnraum nutzen.

Die Besetzer verlangen ein Gespräch mit den Hauseigentümern, einer kleinen Basler Immobiliengesellschaft, sie bitten die Polizei um Vermittlung. Der Kontakt kommt nie zustande: Die Polizei spricht per Megafon die Anordnung aus, das Haus sei sofort zu verlassen. 15 Minuten später stürmen die Polizisten ins Innere. Sie durchbrechen die verrammelten Türen und Fenster und nehmen zwei  Personen fest, die keinen Widerstand leisten.

Kurz nach 11 Uhr morgens werden die beiden Männer auf den Polizeiposten Clara gebracht. Ihnen wird Hausfriedensbruch zur Last gelegt und Sachbeschädigung, weil bei der Polizeiaktion unter anderem die Türe aufgebrochen wurde. Der dabei entstandene Schaden wird den Besetzern zu Last gelegt.

Von Zelle zu Zelle

Auf dem Posten stellen die Polizisten die Personalien der beiden Aktivisten fest. Dann durchforsten sie die Rucksäcke, entnehmen Kleidungsstücke. Ein Polizist ordnet eine Fotoserie mit allen gefundenen Kleidern an. Worum es dabei geht, ist unklar. D., einer der beiden Besetzer, vermutet, das Ziel sei ein Abgleich mit Archivmaterial: Tauchte er schon mal an einer Demo auf?

Als die Beamten mit der Kontrolle fertig sind, bringen sie D. und S. getrennt voneinander in eine Zelle. Irgendwann taucht ein Beamter auf, der S. die Brille wegnimmt und D. die Trainerhose mit Kordel. Der genannte Grund dafür: akute Gefahr von Selbstverletzung. Beide Gegenstände werden nie mehr auftauchen.

Als der Abend in die Nacht übergeht, werden D. und S. getrennt voneinander in einen Gefangenentransporter gebracht, der sie an die Heuwaage fährt und dann in eine Tiefgarage einbiegt. Sie befinden sich jetzt im Stützpunkt Waaghof, in dem sich die Staatsanwaltschaft, der Staatsschutz und das Basler Untersuchungsgefängnis befinden.

Nach einer Kaskade an Wartezellen landen sie schliesslich im Untersuchungsgefängnis. D. wird alleine untergebracht, S. muss sich die Zelle mit drei weiteren Häftlingen teilen. Spätnachts bringt ein Wärter ein Tablett mit zwei Brötchen und Konfitüre, das Abendessen.

Die Hausbesetzer können keinen Kontakt mit ihrem Anwalt aufnehmen, obwohl die Strafprozessordnung das in jedem Stadium des Verfahrens erlaubt.

Am nächsten Tag werden professionelle Studioaufnahmen gemacht, Fingerabdrücke abgenommen und mittels Wangenschleimhaut-Abstrich DNA-Proben entnommen. D. und S. folgen der Aufforderung des Beamten. Tun sie das nicht, dürfen die Ermittler Gewalt anwenden. Die Beamten fixieren dabei laut Betroffenen die Hand des widerspenstigen Häftlings mit einem Metallring auf einer Tischplatte. Dabei wird die Blutzufuhr so lange unterbrochen, bis die Hand taub ist und die Kontrolle erfolgen kann.

Die DNA wird zur Analyse ans Institut für Rechtsmedizin geschickt. Liegen die Werte vor, speist sie ein Beamter in die nationale DNA-Datenbank Codis ein, wo die Probe gespeichert und abgeglichen wird. 185’400 Personenprofile sind derzeit in Codis abgespeichert. Eine Beschwerde gegen die DNA-Entnahme im Fall Gärtnerstrasse wurde vom Apellationsgericht abgewiesen.

Auf eine Befragung warten die Hausbesetzer S. und D. während der gesamten Haftdauer vergeblich, mit ihrem Anwalt können sie keinen Kontakt aufnehmen, obwohl die Strafprozessordnung das in jedem Stadium des Verfahrens erlaubt. Mehrfach verlangt D., den Grund seiner Inhaftierung zu erfahren, das Gefängnispersonal verspricht eine Antwort, liefert aber keine. Schliesslich werden D. und S. wieder in ihre Zellen eingeschlossen und D. zählt auf einer kleinen Digitaluhr am Fernseher die Stunden.

Hausdurchsuchung beim «Aufbau»

3. Februar, 2018. Mehrere Tausend Personen demonstrieren in der Basler Innenstadt. Kurdische Organisationen haben gemeinsam mit linken Gruppierungen wie dem Revolutionären Aufbau zur Kundgebung gerufen, um auf den Krieg der Türkei im kurdisch kontrollierten Nordwesten Syriens aufmerksam zu machen.

Schon im Vorfeld der Demo fahren Einsatzkräfte der Spezialeinheit Brennpunkte vor einem Büro des Revolutionären Aufbaus am Kleinbasler Bläsiring vor. Sie durchsuchen die Räumlichkeiten, konfiszieren Demo-Material. Ein Durchsuchungsbefehl liegt nicht vor. Der Zugriff erfolgt gemäss Behörden, weil sich Personen einer Kontrolle entzogen hätten.

Während der bewilligten Kundgebung ist die Polizeipräsenz gross. Polizisten stossen immer wieder in den Demonstrationszug vor und greifen Personen heraus, die sie linksautonomen Gruppierungen zurechnen. Rund drei Dutzend Personen werden einer Kontrolle unterzogen, zehn überführt die Polizei zu weiteren Abklärungen in den Stützpunkt Waaghof.

Mehrere Betroffene schildern, man habe ihnen erklärt, sie hätten auf der «Kurdendemo» nichts verloren. Die Polizeileitung weist diese Darstellung zurück.

Im Umfeld der Kurdendemo zeigt die Polizei der Öffentlichkeit: Hier wird durchgegriffen.

Auch nach dem offiziellen Ende der Kundgebung patrouilliert die Polizei in der Stadt. Am Barfüsserplatz wird ein junger Mann angehalten, den die Polizei offenbar an der Demo gesichtet hat. Mehrere Beamte fixieren den Betroffenen gewaltsam auf dem Boden, bevor sie ihn verhaften. Eine Menschentraube bildet sich um die Szenerie. Eindruck hinterlässt die Aktion nicht nur beim Demonstranten, auch die Öffentlichkeit sieht: Hier wird durchgegriffen.

Anfang März wird das Büro des Revolutionären Aufbaus am Bläsiring erneut durchsucht, diesmal mit richterlichem Beschluss. Die Räumlichkeiten sind seither versiegelt. Hintergrund sollen «Aufforderungen zur öffentlichen Gewalt» auf einschlägigen Websites sein.

Demoteilnehmer, die sich über die Polizei beschwerten, haben nun eine Untersuchung wegen Landfriedensbruch am Hals.

2. März, 2016. Nach der Räumung der Matthäuskirche durch die Polizei und die Festnahme mehrerer Sans-Papiers ereignet sich eine spontane Demonstration für den Verbleib dieser Menschen. Zweimal feuert die Polizei Gummischrot in die Menge, einmal vor dem Polizeiposten Clara, einmal als der Demonstrationszug die Wettsteinbrücke überqueren will. Die Einsatzleitung definierte dort eine rote Linie, die nicht überschritten werden darf. Doch die Kommunikation mit den Demonstranten gelingt nicht.

Mehrere Demonstranten, darunter eine ältere Frau, beklagen Verletzungen durch die Gummigeschosse. Später beschweren sich mehrere Demonstranten – allesamt nicht aus dem linksautonomen Spektrum – bei der Staatsanwaltschaft über den Einsatz. Ihre Beschwerden haben Folgen, aber andere als gedacht: Die Staatsanwaltschaft hat gegen alle eine Strafuntersuchung wegen Landfriedensbruch eingeleitet.

Zwar ist die Teilnahme an unbewilligten Demonstrationen straffrei, kommt es allerdings zu «mit gemeinsamen Kräften» begangenen Straftaten, können die Strafbehörden die Demonstration zur öffentlichen Zusammenrottung erklären. Jeder, der dann mitdemonstriert, kann kollektiv zur Verantwortung gezogen werden für die begangenen Taten. Die Sans-Papiers-Demo verlief übrigens bis zum zweiten Einsatz von Reizgas und Gummischrot friedlich, danach flogen Gegenstände in Richtung Polizei.

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Das sind drei Beispiele einer ganzen Serie von Polizeieinsätzen gegen linke Gruppierungen und Aktionen. So gab es in den letzten Monaten in einem Wohnprojekt im Kleinbasel mehrere Hausdurchsuchungen, angeblich wurden Teilnehmer einer gewalttätigen Kundgebung gesucht.

An der Mattenstrasse endete eine Ruhestörung in einem Grosseinsatz und mehreren Verhaftungen, nachdem die Polizei «linksextreme Elemente» an einer Party ausgemacht haben will. An der Schwarzwaldallee stand ein zahlenstarkes Aufgebot der Polizei Spalier, als ein Hausbesitzer die geduldete Besetzung «Schwarze Erle», ein wichtiger Treffpunkt der Szene, mit seinem privaten Sicherheitsdienst räumte.

Dazu beendete die Polizei verschiedene wilde Partys im Freien, die in der Vergangenheit noch toleriert worden waren. Musikanlagen wurden konfisziert, manche dabei auf rätselhafte Weise zerstört.

Was ist bloss los in Basel? Ist eine neue Welle der Repression im Gange? Ist da in den letzten Monaten etwas entstanden, was man nur als Feindbild Linke bezeichnen kann?

«Es wird strategisch versucht, eine ganze Szene zu kriminalisieren.»

Nicola Goepfert, BastA!

Der junge BastA!-Politiker Nicola Goepfert hat einige Vorfälle zusammengetragen und in seiner Parteizeitung veröffentlicht. Goepfert, der gute Kontakte zur Szene pflegt, sieht eine gefährliche Eskalation im Gange: «Es wird strategisch versucht, eine ganze Szene zu kriminalisieren.»

Die zahlreichen Geschehnisse während den letzten Monaten hätten für ihn aufgezeigt, dass hinter der Polizeiwillkür eine systematische Entwicklung stehe: «Basel bewegt sich hin zu einem Polizeistaat, in dem es nicht mehr um bestehende Gesetze geht, sondern Einschüchterung und Repression das höchste Gebot sind.»

U-Haft als Strafe

Mehrere von der TagesWoche kontaktierte Strafverteidiger äussern sich besorgt über die jüngsten Entwicklungen. Rechtsanwalt Alain Joset macht mehrere Beobachtungen: «Wir stellen fest, dass beim Verdacht auf Handlungen gegen die öffentliche Ordnung vermehrt Untersuchungshaft eingesetzt wird, und dass diese länger dauert.»

Die Haftgründe seien oft zweifelhaft. Kollusionsgefahr, also das Risiko gemeinsamer Absprachen zur Verdunkelung einer Tat, bestehe im linken Spektrum selten, sagt Joset: «Die machen in der Regel  keine Aussagen.» Für Joset hat die systematisch verhängte Untersuchungshaft «einen punitiven Charakter», sie soll bestrafen – obwohl sie keinen Strafcharakter haben darf.

Ab und an ist Joset erfolgreich mit Haftbeschwerden. Problematisch bleibt die Prozedur aber auch bei erfolgreichem Einspruch. Bis zum Entscheid des Appellationsgerichts vergehen in der Regel mehrere Wochen, in denen Josets Klienten im Gefängnis festsitzen. Und zwar im verschärften Regime der Untersuchungshaft, wo die Häftlinge 23 Stunden pro Tag in ihren Zellen eingeschlossen sind.

«Sie sammeln einfach DNA-Proben, auch wenn es objektiv gesehen keinen Grund dafür gibt.»

Tanja Soland, Strafverteidigerin

Tanja Soland vertritt als Strafverteidigerin immer wieder Klienten aus dem antifaschistischen oder linksautonomen Milieu. Und das vermehrt wegen der Teilnahme an einer unbewilligten Demonstration: «Ich sehe zahlreiche Anzeigen wegen der Teilnahme an Demonstrationen, das hat enorm zugenommen.» In der Regel erhalten Demonstranten einen Strafbefehl, ausgestellt von der Staatsanwaltschaft. «Das schafft erst mal Fakten», sagt Soland. Wer den Strafbefehl nicht akzeptiert, muss hohe Gerichtskosten in Kauf nehmen.

Noch etwas ist der SP-Grossrätin aufgefallen: Die Staatsanwaltschaft entnehme flächendeckend DNA-Proben im Zusammenhang mit Kundgebungen und Besetzungen, selbst bei Bagatelldelikten. «Sie sammeln einfach, auch wenn es objektiv gesehen keinen Grund dafür gibt.»

«Die Bedeutung der DNA-Profile hat für die Ermittlung von mutmasslichen Straftätern zugenommen.»

Peter Gill, Sprecher der Staatsanwaltschaft

Für die Staatsanwaltschaft hat die DNA-Analyse eine grosse Bedeutung. Das bestätigt Peter Gill, Sprecher der Behörde. In den letzten drei Jahren waren es jeweils rund 1500 DNA-Proben, welche die Ermittler entnommen haben, praktisch alle davon wurden auch ausgewertet. «Ja, die Bedeutung der DNA-Profile hat für die Ermittlung von mutmasslichen Straftätern zugenommen, insbesondere aufgrund der Beweissicherheit der Methode», sagt Gill.

Die Methode ist vergleichsweise günstig – eine Analyse kostet nur 220 Franken – und enorm effizient. Entsprechend systematisch greifen die Basler Ermittler darauf zurück: In einem Fall hat die Staatsanwaltschaft die Teilnehmerin einer unbewilligten Demonstration überführt, indem sie DNA-Spuren an einem Handschuh – gefunden in einem Abfalleimer neben der Demonstrationsroute – sicherstellte.

Doch die Frage bleibt: Ist das verhältnismässig? Als die SRF-Wissenschaftssendung Einstein unlängst eine Ausgabe zum Wert der DNA-Analyse in der Forensik machte, wählte sie spektakuläre Mordfälle als Beispiele. In der Praxis aber jagen die Strafbehörden damit eher linke Demonstranten. Die gesetzlichen Hürden für die Anwendung liegen sehr tief.

Ist der DNA-Abgleich zur Ermittlung der Tat nicht nötig, darf er laut Bundesgericht auch nicht angeordnet werden.

Das offizielle Merkblatt der Basler Staatsanwaltschaft, das den Probanden vor der Kontrolle überreicht wird, gibt einen Hinweis auf die Erweiterung der Praxis. Dort heisst es, die DNA-Entnahme würde wegen «des dringenden Verdachts auf eine schwere Straftat» erfolgen. Antragsdelikte wie Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung im Fall der vereitelten Besetzung an der Gärtnerstrasse dürften kaum so einzuordnen sein.

Tatsächlich ist das Bundesgericht schon eingeschritten in Sachen DNA-Abgleich. 2014 hat es ein Grundsatzurteil gefällt – wenig erstaunlich, in einem Verfahren gegen linke Asylaktivisten im Kanton Bern. Dabei setzte das Bundesgericht dem Eifer der Strafermittler eine Grenze: Ist der DNA-Abgleich zur Ermittlung der Tat nicht nötig – etwa weil die Sache sonnenklar ist –, darf er auch nicht angeordnet werden, wenn eine gewisse Schwere der Tat nicht vorliegt.

Staatsanwaltschaften sammeln die Proben gerne, um für mögliche Delikte in der Zukunft gewappnet zu sein. Auch Peter Gill, Sprecher der Basler Stawa, streicht diese Bedeutung heraus. Nach dem Urteil des Bundesgerichts sei die Zahl der DNA-Analysen in der Schweiz um ein Viertel zurückgegangen, sagt Gill. Und: «Es ist davon auszugehen, dass diese Praxis Auswirkungen auf die Aufklärungsquote von Straftaten in den nächsten Jahren haben wird.» Gill befürchtet «gravierende Auswirkungen bei Aufklärungen von Kapitalverbrechen und Seriendelikten».

Aufsicht will genauer hinschauen

Strafverteidigerin Tanja Soland dagegen wünscht sich, dass die Aufsichtskommission der Staatsanwaltschaft sich die Praxis mit den DNA-Abgleichen anschaut: Werden diese fristgerecht gelöscht? Erfolgen sie nur in berechtigten Fällen?

Der Basler Bundesrichter Daniel Kipfer präsidiert diese Kommission, die erst 2015 geschaffen wurde. Sie liefert zuhanden des Regierungsrats, dem die Staatsanwaltschaft untersteht, jährlich einen Bericht. Das Untersuchungsfeld der Kommission ist durch das Gesetz streng und eng abgesteckt. Sie beschäftigt sich hauptsächlich mit dem Beschleunigungsgebot und mit Verfahrensdauern bei der Staatsanwaltschaft.

Künftig will die Kommission ihre Aufsicht ausdehnen, erklärt Kipfer auf Anfrage. Sie plant, breit angelegte Gespräche mit Involvierten zu führen, um «allfällige Hinweise auf problematische Organisationsaspekte oder Geschäftsprozesse zu erhalten». Ob darunter auch die DNA-Analysen oder die fragwürdige Praxis des Gewahrsams fallen, kann Kipfer heute noch nicht sagen.

Deutsche bleiben länger im Knast

Auch der Basler Strafverteidiger Andreas Noll hält die DNA-Praxis für problematisch. Teilnehmer unbewilligter Kundgebungen in die DNA-Datenbank aufzunehmen, hält Noll «für nicht legitim». Das Strafrecht werde missbraucht, um die Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit einzuschränken. Das Recht auf Protest sei eine Grundbedingung jeder Demokratie.

Noll vertritt auch die beiden Hausbesetzer im Fall Gärtnerstrasse. Dass dort DNA-Entnahmen durchgeführt wurden, versteht er nicht. Er glaubt, seine Beschwerde habe hohe Erfolgschancen, «wenn nicht bereits vor dem Bundesgericht, dann spätestens am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg».

Als die beiden Besetzer D. und S. in Gewahrsam genommen werden, schaltet sich Noll sofort ein. Der zuständige Staatsanwalt teilt ihm in einem längeren E-Mail-Austausch mit, S. könne bis zu 96 Stunden in Gewahrsam bleiben, weil er Deutscher ist.

Diese Ausdehnung der Haft können die Behörden allerdings nur verhängen, wenn ausländerrechtliche Probleme bestehen. Noll fragt dann selber beim Migrationsamt nach, ob etwas gegen seinen Klienten vorliege. Dort verneint man. Erst als der Anwalt mit einer Anzeige wegen Freiheitsberaubung droht, lenkt die Basler Staatsanwaltschaft ein.

In der linken Szene wird der Widerstand gegen die Polizei zum grossen Thema  – und nicht mehr politische Veränderungen.

D. und S. werden nach rund 49 Stunden aus der Haft entlassen. Hektisch führt sie ein Beamter aus der Zelle, als die Frist abläuft. Ihre Habseligkeiten erhalten sie nachgereicht, weil alles schnell gehen muss. Allerdings fehlt noch immer die Trainerhose von S., weshalb D. gebeten wird, seinem Kollegen eine Hose auszuleihen, die er im Rucksack dabeihatte.

Zusätzlich drückt ein Beamter D. und S. gleich beim Austritt einen Strafbefehl in die Hand – ein Vorgehen, dass Noll sonst nur bei Kriminaltouristen angetroffen hat. Rund 1000 Franken pro Person müssen die beiden Besetzer bezahlen. Der Fall dürfte vor dem Strafgericht neu aufgerollt werden.

D. sagt, er habe kein Verständnis für die harsche Gangart der Behörden: «Es geht nicht nur um das, was uns passiert ist. Die Repression wird vielleicht kurzfristig die Szene marginalisieren. Leute werden eingeschüchtert, aber das schlägt irgendwann um, dann radikalisieren sich Teile der Aktivisten.»

Schon jetzt stelle er fest, dass der Widerstand gegen die Polizei zum beherrschenden Thema wird – und nicht mehr die politischen Veränderungen, die man erwirken will. «Davon will ich mich nicht vereinnahmen lassen», sagt D.

Etabliert sich ein «Gesinnungsstrafrecht»?

Das Feindbild Linke, für Andreas Noll existiert es ohne Zweifel. Er spricht von einem «Gesinnungsstrafrecht», das sich langsam etabliere. Bei Linken genüge bereits die politische Einstellung als Tatnachweis. «Wenn die Polizei etwa Anhängern des Revolutionären Aufbaus per se unterstellt, sie seien gewalttätig, und sie deshalb drangsaliert, dann geht das nicht.» Straftaten müssten immer noch nachgewiesen werden, man könne sie nicht einfach vermuten.

Tatsächlich hat sich auch eine entsprechende Gerichtspraxis in Basel herausgebildet. Derzeit stehen 18 Angeklagte vor Gericht, die an einer gewaltsamen Kundgebung im Juni 2016 teilgenommen haben. Damals richteten die Demonstranten hohen Sachschaden an, vor allem am Hauptsitz der Helvetia-Versicherung am Steinengraben; zudem wurden mehrere Polizeiautos angegriffen und ein Polizist von einem Wurfgegenstand am Knie getroffen.

Kollektive Verantwortung

Den Angeklagten drohen vergleichsweise harte Sanktionen. Der Prozess wird von einem Dreiergericht geleitet, was auf Freiheitsstrafen von mindestens einem Jahr schliessen lässt. Das Bemerkenswerte an der Anklage ist, dass alle Angeklagten für die Taten kollektiv verantwortlich gemacht werden. Den Ermittlern ist es bis auf wenige Ausnahmen nicht gelungen, einzelne Personen direkt einer Straftat zu überführen.

Das Strafrecht lässt das nur beim problematischen Paragrafen Landfriedensbruch zu, wo Vorsatz angenommen werden kann, wenn sich Protestler nicht aus der Demo verabschieden, sobald es zu Straftaten kommt.  Doch die Staatsanwaltschaft will im Fall Helvetia-Versicherung auch bei allen weiteren Delikten die Angeklagten kollektiv bestrafen: Reichen also schon die Teilnahme an der Demo und die vermutete Gesinnung für eine Verurteilung?

Wenn sie Linksautonome verteidigt, stösst Tanja Soland in den Akten immer wieder auf Vermerke des Staatsschutzes.

In der ganzen Kette Polizei–Staatsanwaltschaft–Gerichte scheint sich die härtere Gangart im Umgang mit linken Aktivisten, die sich ausserhalb des gesellschaftlichen Konsenses und teilweise ausserhalb des geltenden Rechts bewegen, bemerkbar zu machen.

Die Ursachen dafür sind schwierig zu eruieren, aber man findet Hinweise. Eine Vermutung beinhaltet einen weiteren Player, der in der Ermittlungskette agiert, allerdings im Verborgenen: der kantonale Nachrichtendienst. Die sogenannte Fachgruppe 9 fungiert im Auftrag des Nachrichtendienstes des Bundes (NDB) als Basler Staatsschutz. In Bern wird die Gefahr, die von Linksextremisten ausgeht, als hoch bewertet. Organisationen wie der Revolutionäre Aufbau befinden sich auf der Beobachtungsliste des Nachrichtendienstes.

Entsprechend handelt die Basler Aussenstelle. Strafverteidigerin Soland stösst immer wieder auf Vermerke und Dossiers des Staatsschutzes in den Akten, wenn sie Linksautonome betreut. «Ich habe schon ganze Fotoromane gefunden, der Angeklagte alleine, mit seiner Freundin, mit seinen Kollegen.» Unklar bleibt, welchen Einfluss der Staatsschutz auf die Arbeit der Polizei hat. Der neue Polizeikommandant Martin Roth stellt in Abrede, dass es einen regelmässigen Austausch gibt.

Der 1. Mai als Linksextremen-Anlass

Dass die Nachrichtendienstler ein verschobenes Bild der Linken pflegen, zeigt eine Einschätzung von Fachgruppen-Chef Jörg Möschli in einem Bericht über den 1. Mai. Der in Basel zuverlässig harmlose Tag der Arbeit wird dort als linksextremistische Veranstaltung bezeichnet.

Auch die unlängst ans Licht gekommene Fichenaffäre, als in Basel erneut linke Politiker ausgehorcht wurden – diesmal wegen vermuteter Verbindungen zur kurdischen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) – dokumentieren ein gefestigtes Misstrauen.

Bei der Kantonspolizei ist die Dynamik komplizierter, wie aus Gesprächen mit Polizisten und ehemaligen Kaderleuten hervorgeht. Unter dem geschassten Polizeikommandanten Gerhard Lips tat sich eine grosse Kluft zwischen Basis und Polizeileitung auf. Lips kommunizierte rein über die Hierarchie. Seine Vorgaben, etwa bei unbewilligten Demonstrationen das Big Picture (das Gesamtbild) im Auge zu behalten, trafen auf Unverständnis.

Polizeibasis gegen Lips

Je weiter hinunter die Hierarchie reicht, desto kleiner wird die Bereitschaft, sich auf eine Gesamtsicht einzulassen und desto ausgeprägter wird die Überzeugung, dass jeder Rechtsbruch geahndet gehöre – koste es, was es wolle. Lips und seine Einsatzleiter hielten sich bei Kundgebungen meist zurück, sie blieben bis auf einige Ausnahmen oft im Hintergrund.

Seine Devise lautete: Demonstrationen dürfen grundsätzlich stattfinden, Konfrontationen sollen vermieden werden. Das sorgte übrigens auch im Umgang mit Fussballfans für eine spürbare Entspannung.

Doch bei den Polizisten blieb Frustration zurück, man fühlte sich von den Linksautonomen vorgeführt. Oftmals blieben Vergehen wie Sachbeschädigungen ungeahndet. Der Konflikt zwischen Basis und Kommandant war einer der Gründe, die zum Rücktritt von Lips Ende Mai 2017 führten. Eine Enthüllungsserie zu Missständen im Korps vor den letzten Regierungswahlen sollte nicht nur Sicherheitsdirektor Baschi Dürr schaden – sondern in erster Linie dem ungeliebten Kommandanten Lips.

Vor diesem Hintergrund muss man die Aussagen seines Nachfolgers Martin Roth verstehen, der betont, seinen Polizisten stets auf Augenhöhe zu begegnen. Und der seine Polizisten offensiv gegen Linksautonome vorgehen lässt, etwa unbewilligte Kundgebungen mit einem Grossaufgebot Polizisten umstellt.

Die Anschlagsserie rund um den Bässlergut-Neubau sorgt für beträchtliche Aufregung bei Polizisten und Staatsanwaltschaft.

Zwei Ereignisse haben die Strafverfolgungsbehörden geprägt. Die Conex-Demo, eine Kundgebung gegen eine grosse Militärübung in der Region im September 2015, treibt die Ermittler bis heute um. Der Protest eskalierte damals vor dem Ausschaffungsgefängnis Bässlergut, wobei mehrere Polizisten verletzt wurden. Nur wenige Teilnehmer konnten in der Folge mittels DNA-Abgleich überführt und verurteilt werden. Noch heute suchen die Ermittler intensiv nach den Tätern in der Szene. In frühmorgendlichen Hausdurchsuchungen wird nach den Teilnehmern gefahndet.

Auch die laufende Anschlagsserie rund um den Bässlergut-Neubau sorgt für beträchtliche Aufregung bei Polizisten und Staatsanwaltschaft. Dabei gehen seit Monaten regelmässig Fahrzeuge von Unternehmen, die am Neubau beteiligt sind, in Flammen auf. 65 Strafverfahren laufen in diesem Zusammenhang, die Täterschaft ist nicht gefasst.

Die Reaktion auf all das lautet: Repression. Dabei festigt sich zunehmend ein Feindbild, wodurch sich die Einschätzung tatsächlicher und vermeintlicher Bedrohungen gefährlich vermischen. Für nötige Differenzierungen auf beiden Seiten bleibt da kein Raum mehr. Die Folgen davon sind noch kaum abschätzbar, aber sie dürften noch spürbar werden.

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