Elisabeth Schneider-Schneiter wirkt nervös. Immer wieder wirft sie einen Blick auf den Bildschirm, der das Geschehen im Nationalratssaal wiedergibt. Was sagt der Nationalratspräsident da gerade in das Mikrofon? Liest er das Rücktrittsschreiben von Doris Leuthard vor?
Schneider-Schneiter sitzt auf dem grün gepolsterten Sofa in der Wandelhalle, die Arme verschränkt, der Gesichtsausdruck angespannt. «Wenn jetzt gleich der Rücktritt der Bundesrätin kommt, dann werde ich mir erst einmal Gedanken machen und viele Gespräche führen. Innerhalb der Partei, mit Weggefährten. Und mit meiner Familie.»
Die Familie ist immer das letzte, das am schwersten wiegende Argument für Elisabeth Schneider-Schneiter. Sie, die Familie, Beruf und Politik immer unter einen Hut brachte. Wenn es hart auf hart kommt, werde sie sich für ihren Mann und ihre beiden Kinder entscheiden.
Schneider-Schneiter geht wieder in den Nationalratssaal. Sie muss abstimmen, es stehen wichtige Geschäfte an, unter anderem spricht sie für ihre Partei zur zukünftigen Europapolitik. Eigentlich hat Schneider-Schneiter gar keine Zeit, sich mit diesen Bundesrats-Eventualitäten auseinanderzusetzen.
In der Wandelhalle, wo die Journalisten warten, wo Politiker Vier-Augen-Gespräche führen, ist der Lärmpegel hoch. Plötzlich verstummt das Stimmengewirr. Alle Politiker gehen in den Saal, alle Journalisten scharen sich um den Monitor. Um 10.26 Uhr gibt Nationalratspräsident Dominique de Buman bekannt, dass Doris Leuthard per Ende 2018 zurücktritt. Sie selbst ist nicht im Saal, dennoch erheben sich die Politiker für eine Standing Ovation. Auch Elisabeth Schneider-Schneiter.
«Manchmal wirke ich vielleicht etwas taktlos. Aber bei mir weiss man wenigstens, woran man ist.»
Kaum ist die Ankündigung vorbei, kommt wieder Hektik auf. Die Kamerateams positionieren sich, Gerhard Pfister kommt in die Wandelhalle, Mikrofone bedrängen ihn. Er sagt das, was vom CVP-Parteipräsidenten erwartet wird: Der Rücktritt sei der persönliche Entscheid der Bundesrätin gewesen. Jetzt liege es an den Kantonalparteien, fähige Kandidaten zu nominieren. Er mache sich keine Sorgen wegen eines hochkarätigen Tickets, die CVP habe viele kompetente und interessierte Politiker. Dann lässt Pfister sich aber doch zu der Aussage hinreissen: «Die CVP kann es sich nicht erlauben, keine Frau auf das Ticket zu setzen.»
Elisabeth Schneider-Schneiter könnte diese Frau sein. Die 54-Jährige zeigt als Präsidentin der Aussenpolitischen Kommission viel Präsenz in Bundesbern. Sie ist seit acht Jahren im Nationalrat, sitzt im Präsidium der CVP Schweiz und ist mit ihren zahlreichen Mandaten über die Region hinaus gut vernetzt.
Aber es gibt auch Gründe, die gegen Schneider-Schneiter sprechen. Sie ist bekannt und wohl auch gefürchtet für ihre Direktheit. «Manchmal wirke ich vielleicht etwas taktlos. Aber bei mir weiss man wenigstens, woran man ist.» So habe sie das gelernt, von klein auf, als mittleres von fünf Kindern. «Ich musste mich schon immer durchsetzen.» Manchmal muss sie auch zurückkrebsen, zum Beispiel bei der Affäre um ihren Walliser Kollegen Yannick Buttet. «Ich war damals emotional und habe zu schnell gesprochen», sagt sie rückblickend.
Eine emotionale Elisabeth Schneider-Schneiter bekommt man selten zu sehen. Aus gutem Grund. «Ich habe gelernt, eine Rolle einzunehmen, um nicht angreifbar zu sein.» Denn trotz ihres toughen Auftretens reagiere sie verletzlich auf destruktive Kritik, auf Anschuldigungen.
In ihrem Berufsleben hat das nichts verloren. Trotzdem: Ganz wegstecken könne sie Kritik nicht. «Ich bin schliesslich ein Mensch», sagt sie beinahe entschuldigend. Gut tue ihr das Zuhause, wo sie sich zurückziehen kann, wo sich nicht immer alles um die Politik drehe. «Es gibt bei mir zwar keinen Tag ohne Politik. Aber wenn es beginnt, meine Familie zu stören, dann mache ich eine Pause.»
«Meine Kinder sind für mich eine Bereicherung, sie haben mich enorm leistungsfähig gemacht.»
Als sie eine Stunde nach der Ankündigung wieder in die Wandelhalle kommt, scheint sie eine gefragte Frau zu sein. Sie schüttelt Hände, gibt Interviews, nimmt Anrufe entgegen. Ihr sonst so klarer Blick schweift ab, sie wirkt etwas erschöpft.
«Ich habe in der Stunde seit dem Rücktritt zehn Interviews gegeben. Ich spüre eine enorme Last», sagt Schneider-Schneiter. Eine Last, die so oder so auf ihr liege, ob sie sich nun zu einer Kandidatur entschliesse oder nicht. «Es ist ein endgültiger Entscheid, eine zweite Chance bekomme ich nicht», weiss sie. Ihr Mund verzieht sich leicht zu einem angedeuteten Lächeln.
Politische Chancen prägten schon von Beginn weg die politische Karriere von Elisabeth Schneider-Schneiter. «Ich wurde meist vom Zufall geleitet», sagt sie selbst. Ihre Wahl 1999 in den Landrat, ihr Nachrücken in den Nationalrat für Kathrin Amacker elf Jahre später. Und jetzt die Möglichkeit, Bundesrätin zu werden. Wenn sie denn will. Und ihre Partei.
Die Familie und die Politik kamen gleichzeitig
Sollte Schneider-Schneiter zur Bundesrätin gewählt werden, wäre sie erst die dritte Mutter in diesem Amt. Ein nicht zu unterschätzender Fakt, wie sie selbst findet: «Meine Kinder sind für mich eine Bereicherung, sie haben mich enorm leistungsfähig gemacht.» Bei ihr kamen Politik und Muttersein beinahe gleichzeitig zusammen. Schneider-Schneiter war erst kurz im Landrat, als sie ihr erstes Kind erwartete.
Sie vertritt die klare Meinung, dass Frauen nach der Geburt ihrer Kinder nicht zu Hause bleiben sollen. «Ich habe immer Vollzeit gearbeitet, mein Mann auch. Wir haben uns gemeinsam organisiert, so konnten wir unseren Beruf ausüben und gleichzeitig für unsere Kinder da sein.» Dabei spielten auch die Grosseltern eine grosse Rolle. Sie spannten das Netz, damit Familie, Beruf und Politik zusammengehen konnten.
Das Verhältnis zu ihrer Familie betont Elisabeth Schneider-Schneiter immer wieder. Es ist der rote Faden, der sich durch ihren Lebenslauf zieht: Zur CVP kam sie, weil bereits ihr Vater und ihr Grossvater in der Partei waren. «Für mich kam nie eine andere Partei infrage», sagt sie. Hier könne sie ihre Meinung entfalten, hier müsse sie sich nicht verbiegen.
«Heute ist die Fusion der beiden Basel für mich kein Thema mehr.»
Auch ihre Berufswahl hat mit ihrer Familie zu tun. «Ich bin mit vier Geschwistern aufgewachsen, wir mussten immer alles ausdiskutieren. Ich wollte etwas machen, wo ich meinen Gerechtigkeitssinn einsetzen konnte.» Ein Wunsch, der nicht gerade auf Begeisterung stiess. «Alle anderen Geschwister gingen für ein Jahr in die Welschschweiz, um Französisch zu lernen. Meine Eltern wollten das bei mir auch», erzählt Schneider-Schneiter.
Sie hatte aber andere Pläne, wollte ans Gymnasium und Jura studieren. Unterstützt wurde sie dabei von ihrem Grossvater. «Er selbst war Forstingenieur, hatte an der ETH studiert. Das war zu jener Zeit eine Seltenheit.» Schneider-Schneiter strahlt, sie ist sichtlich stolz auf ihren Grossvater. «Er hat mich enorm unterstützt, während des Studiums bildeten wir eine WG. Ich verdanke ihm viel.»
Ansonsten gibt sie wenig aus ihrem privaten Umfeld preis. Die Aussenpolitikerin wuchs in Hofstetten auf, heute lebt sie ein paar Kilometer weiter in Biel-Benken. In ihrer Freizeit kümmert sie sich um ihren Garten und besucht mit ihrem 16-jährigen Sohn und der 18-jährigen Tochter die Spiele des FC Basel.
Auch die Tochter will in die Politik
Ihren Kindern habe sie immer alle Freiheiten gelassen, so Schneider-Schneiter. Dennoch folgt zumindest die Tochter den Fussstapfen der Eltern. «Sie überlegt sich, Jura zu studieren», sagt sie stolz. «Wenn sie das möchte, ist es toll. Aber sie soll uns nicht nacheifern.»
Die Parallelen zwischen Mutter und Tochter sind nicht zu übersehen. Im kommenden Jahr kandidiert Julia für den Landrat. «Nicht meinetwegen. Ihr Lehrer hat sie auf die Idee gebracht», stellt die Mutter klar.
Neben ihrem Nationalratsmandat ist Schneider-Schneiter auch Präsidentin der Handelskammer beider Basel. Und dennoch gibt es etwas, was die Biel-Benkemerin nach all den Jahren bereut: die verpasste Anwaltsprüfung. «Ich musste nach dem Studium so schnell wie möglich mein eigenes Geld verdienen. Im Nachhinein hätte ich noch etwas länger ausharren sollen», sagt sie heute.
Dabei hatte sie auch während des Studiums keine Geldsorgen. Sie unterrichtete nebenbei bei Ciba-Geigy EDV-Unterricht. «Aber ich hatte ein teures Hobby, mein ganzes Geld ging fürs Segeln weg.» Diese Entscheidung bereut sie nicht.
In der Politik setzt Schneider-Schneiter auf Dialog. Daraus wird ihr immer wieder ein Strick gedreht. Kurz bevor sie den Landrat gen Bern verliess, lancierte sie die Fusionsdebatte der beiden Basel. Im Nachhinein sagt sie, dass diese Debatte hochgekocht worden sei. «Das Volk hat aber klar entschieden, und heute ist das für mich kein Thema mehr. Aber ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass eine bessere Zusammenarbeit unsere Region enorm stärken würde.»
Einsatz für die Aussenpolitik
Diese Philosophie vertritt sie auch in der internationalen Politik. So setzt sie sich unter anderem dafür ein, die Russland-Sanktionen aufzuheben. «Ich tue das nicht erst, seit die Spionage-Vorwürfe laut wurden. Ich vertrete diese Haltung schon seit Jahren», betont Schneider-Schneiter. Und das, obwohl bekannt wurde, dass Russland Spionageangriffe auf die Anti-Doping-Agentur Wada in Lausanne und ein Labor in Spiez plante und teilweise sogar ausführte. Schneider-Schneiter bleibt ihrer Linie dennoch treu. Weil es für sie letztlich immer um Menschen gehe, die unter solchen Sanktionen leiden.
Auch sonst hat sich die Baselbieterin in den vergangenen Jahren einen Namen als Aussenpolitikerin gemacht. Bereits vor ihrer Wahl zur Aussenpolitischen Kommissionspräsidentin reiste sie viel durch die Welt, setzte sich für die Beziehungen zur Schweiz ein und verfasste entsprechende Vorstösse. So setzt sie sich für neue Freihandelsabkommen mit Japan oder den USA ein, sorgt sich um die Folgen von Brexit für die Schweiz und bringt immer wieder die Problematik der aufgebrauchten Drittstaatenkontingente auf den Tisch.
Elisabeth Schneider-Schneiter muss wieder in den Ratssaal. Die Europapolitik steht auf der Traktandenliste. Sie setzt sich ein für das Rahmenabkommen, verlangt vom Bundesrat Verhandlungsgeschick und erinnert an die Erfolgsgeschichte der Bilateralen Verträge. Nach ihrem Referat stellen ihr die Ratskollegen Fragen, insbesondere von der SVP wird sie harsch angegriffen.
Schneider-Schneiter reagiert so, wie man es von ihr gewohnt ist: Sie antwortet direkt und vielleicht ein bisschen taktlos. Je nach Perspektive.