Wie soll der Staat mit religiösen Symbolen umgehen? Dazu läuft seit einiger Zeit eine erregte Diskussion. Zusätzlichen Auftrieb hat ihr im April der Beschluss des bayrischen Ministerpräsidenten Markus Söder gegeben, dass in allen Dienstgebäuden ein Kreuz angebracht werden müsse. Vorsorglich sprach der rechtsnationale Oberpolitiker dem ihm offenbar so wichtigen Kreuz den religiösen Charakter ab und erklärte es dafür zum Symbol bayrischer «Identität und Lebensart».
Dies könnte Vorbild für gewisse Hurra-Schweizer sein, findet sich doch das Kreuz bereits in der nationalen Flagge. Von christlicher Seite erhielt Söders Kreuzzug auffallend wenig Unterstützung. Manche sahen darin eine Profanierung und einen Missbrauch eines religiösen Symbols zu politischen Zwecken.
Das Kruzifix im Klassenzimmer
Weiter zurück liegt der Streit um ein Kruzifix in einem Tessiner Klassenzimmer. Das Bundesgericht entschied 1990, dass es aus den Schulräumen der Gemeinde Cadro entfernt werden müsse. Anti-islamische Fundamentalisten brandmarkten den Entscheid als widersprüchliche Einseitigkeit zugunsten einer fremden Religion, wenn einerseits christliche Symbole verbannt, andererseits Kopftuch-Schülerinnen, wie vom Bundesgericht 2013 bestätigt, geduldet werden.
SVP-Nationalrat Lukas Reimann kann keinen Unterschied erkennen, zwischen dem Kreuz an der Wand, das für alle da ist, und dem Kopftuch, das nur für sich persönlich und nicht als Symbol für andere getragen wird.
Nicht zur Schule, sondern zu Gerichten ist am 16. April 2018 vom Gerichtsrat des Kantons Basel-Stadt ein Entscheid über die Anwesenheit religiöser Symbole gefällt worden. Davon war auch in diesem Medium schon die Rede. Die Publikumskommentare waren länger als die Kurzmeldung und bewegten sich, wie es bei solchen Kommentaren eben gehen kann, schnell weg vom Thema und hin zu der Frage, inwiefern die Einhaltung des Ramadans eine Gefahr für die Verkehrssicherheit sei.
Keine sichtbaren religiösen Symbole
Der Entscheid des fünfköpfigen Gerichtsrats, den es seit zwei Jahren gibt, erinnert daran, dass die Gerichte in ihrer Rechtsprechung zu Unabhängigkeit und religiöser Neutralität verpflichtet seien und darum «schon den Anschein» vermeiden müssen, dass dem nicht so sei.
Er verpflichtet deshalb, gestützt auf das bestehende Organisationsgesetz, das «gebührende Kleidung» vorschreibt (§52 Abs. 3), alle Gerichtspersonen bei Verhandlungen (also nicht bei der übrigen Arbeit), keine sichtbaren religiösen Symbole zu tragen. Explizit werden genannt: Kopfbedeckungen mit religiöser Symbolik (Kopftuch, Turban, Kippa etc.) aber auch eine christliche klerikale Tracht oder ein Kreuz.
Jetzt haben wir doppelten Anlass, uns diese Neuerung nochmals zu vergegenwärtigen: Erstens ist sie seit dem 1. Juli in Kraft, und zweitens ist, wie das Regionaljournal von Radio SRF meldete, vom Basler Anwalt Stefan Suter beim Bundesgericht eine Beschwerde dagegen eingelegt worden. Der Fall könnte Bedeutung erlangen, weil die Regelung der Basler Gerichte ein schweizweites Novum ist. «Basel schert aus», konnte man in der «bz Basel» lesen.
Die neue Regelung ist nicht das Resultat einer theoretischen Debatte um das Verhältnis von Staatsorganen und Religion. Sie ist vielmehr die Reaktion auf eine konkrete Situation. Bezeichnenderweise haben nicht das Kreuz und nicht die Kippa, sondern hat das Kopftuch zu diesem präventiven Entscheid geführt.
Es gab in Basel bereits jüdische Richter und muslimische Volontäre, doch trugen diese nie im Gericht religiöse Symbole.
Ausgelöst wurde die neue Bestimmung, durch die Bewerbung um ein Volontariat einer jungen Juristin, die auf dem Foto in den Bewerbungsunterlagen ein Kopftuch trägt. An Basler Gerichten gab es bereits jüdische Richter und muslimische Volontäre, doch trugen diese nie im Gerichtssaal religiöse Symbole.
Bedeutet diese für die Amtsausübung erlassene Vorschrift eine Einschränkung der alltäglichen Religionsfreiheit? Man kann das so sehen, aber auch, wie es der Basler Appellationsgerichtspräsident Stephan Wullschleger in einer Güterabwägung getan hat, das Recht auf religiöse Neutralität im Angesicht der Öffentlichkeit und der Prozessparteien höher zu gewichten als die (private) Glaubensfreiheit.
Was ist ein religiöses Symbol?
Der appellierende Anwalt vertritt nicht die Interessen einer bestimmten Religionsgruppe. Er ist einfach der Meinung, dass eine solche gewichtige Regelung, die einen Eingriff in ein von der Verfassung garantiertes Grundrecht vornehme, nicht von den Gerichten selbst beschlossen werden dürfe, sondern durch ein vom Grossen Rat beschlossenes Gesetz geregelt werden müsse. Zudem bleibe unklar, was unter religiösen Symbolen zu verstehen sei. Ist das Kopftuch ein religiöses Symbol?
Die von Gerichtsrat getroffene Lösung ist kein einsamer Entscheid gewesen. Ihm ist ein breit angelegter Meinungsbildungsprozess vorangegangen. Zudem ist er von umsichtigen Nebenbestimmungen begleitet. Eine Volontärin mit Kopftuch darf im Gerichtssaal den Verhandlungen beiwohnen, aber nicht auf der Seite des Tribunals Platz nehmen, und sie könnte sogar an den hinter geschlossenen Türen stattfindenden Urteilsberatungen teilnehmen, jedoch ohne beratende Stimme.
In unserer logoverrückten Welt gibt es immer häufiger weltanschauliche Selbstmarkierungen durch äussere Zeichen.
Des Weiteren sind von der Änderung nicht betroffen: die Prozessparteien und deren Rechtsvertretungen, allfällige Dolmetscherinnen und Dolmetscher, Gutachterinnen und Gutachter sowie Zeuginnen und Zeugen.
Die kantonale Fachstelle für Integration und Diversität steht der Absicht, der Trennung von Religion und Staat auch in diesem Bereich Rechnung zu tragen, positiv gegenüber. Gewiss kann man die getroffene Lösung – wie alles – problematisieren und dabei die Schwierigkeit im Umgang mit Symbolen hervorheben. In der Presse wird zum Beispiel darauf hingewiesen, dass unklar sei, wie man einen männlichen Vollbart einstufen müsse.
Andere bringen sogleich das albanische Herkunftssymbol, also den Doppeladler, ins Spiel. In unserer logoverrückten Welt gibt es immer häufiger auch ohne Religionsbezug weltanschauliche Selbstmarkierungen durch bestimmte Kleidung und äussere Zeichen (bis hin zu sonderbaren Tattoos).
Eine neutrale Kleidung gewährleistet nicht automatisch auch eine neutrale Haltung.
Die getroffene Lösung darf Anlass sein, einen kurzen Moment lang über das Verhältnis von Sein und Schein nachzudenken. Dabei müsste bewusst werden, dass eine Erscheinung, die einer bestimmten Religion und Konfession zugeordnet werden kann, nicht von einer bestimmten Voreingenommenheit zeugt. Es gibt höchst unterschiedliche Arten christlich, jüdisch oder muslimisch zu sein.
Bliebe eigentlich nur die ebenfalls schon vorgebrachte Lösung mit uniformierter Einheitskleidung (Richterroben inklusive Barett wie beim Bundesgericht von Karlsruhe). Dem kann wiederum entgegengehalten werden: Offene Bekenntnisse durch äussere Zeichen hätten den Vorteil, dass man gleich wisse, «woran» man sei. Das praktiziert allerdings eine vereinfachende, vorurteilsbehaftete Zuordnung von Haltungen zu Religionen.
Auch kann man festhalten, dass eine neutrale Kleidung nicht automatisch auch eine neutrale Haltung gewährleistet. Wichtiger als die äussere Erscheinung von Staatspersonen (ob Richterinnen oder Lehrerinnen) ist die innere Haltung, die als solche unsichtbar ist. Man wünschte sich eine Ausübung, die nicht von partikularen Meinungen und Voreingenommenheiten bestimmt ist und in der auch die berühmten Parteifarben (Rot, Blau, Schwarz etc.) keine Rolle spielen, obwohl Richter teilweise nach Parteiproporz gewählt werden.
Richterinnen mit Kopftuch könnten die Akzeptanz von Kassiererinnen mit Kopftuch fördern – und vice versa.
Beim Weiterdenken könnte man auch die Meinung entwickeln, dass es wünschenswert sein könnte, an einem Kopftuch überhaupt keinen Anstoss zu nehmen und dass Richterinnen mit Kopftuch die Akzeptanz von Kassiererinnen mit Kopftuch fördern würden – und vice versa.
Das sind Überlegungen, die man so anstellen kann. Letztlich ist aber die Sorge der Richter um den Status ihrer Institution zu würdigen. Ein zentraler Satz der Medienmitteilung des Gerichtsrats bemerkt: Wenn «auch nur schon der Anschein» entstünde, dass die Unabhängigkeit und religiöse Neutralität nicht gegeben sei, wäre «das Vertrauen in die Justiz und die Akzeptanz der Entscheidungen gefährdet».
Das Bundesgericht wird in dieser Sache erst in paar Monaten entscheiden. Es wäre erstaunlich, wenn es die Beschwerde gutheissen würde. Dem Antrag auf aufschiebende Wirkung wurde nicht entsprochen. Somit ist die neue Regelung seit ein paar Tagen in Kraft, musste aber noch nicht angewendet werden. Die Juristin mit dem Kopftuch, die sich für ein Volontariat beworben hat, figuriert nämlich erst auf der üblichen Warteliste.